Gemeinschafts- und mitarbeiterzentrierte Verantwortung
Sebastian Koos und Anna Apostolidou
Die langfristige soziale Integration von Geflüchteten ist eng mit ihrer erfolgreichen Arbeitsmarktintegration verbunden. Dabei spielen Unternehmen eine zentrale Rolle, da sich Integration konkret in betrieblichem Kontext vollzieht. Daher beschäftigt sich dieser Beitrag damit, warum Unternehmen Fluchtmigrantinnen und -migranten einstellen, welche Herausforderungen sich dadurch ergeben und mittels welcher organisationalen Maßnahmen diese bewältigt werden können.
Seit dem langen Sommer der Migration im Jahr 2015 wurden mehr als eine Million Menschen als Asylbewerberinnen und Asylbewerber in Deutschland registriert (1). Die Versorgung und Integration dieser Menschen haben das deutsche Gemeinwesen seitdem vor eine große gesellschaftliche Herausforderung gestellt. Während auf der einen Seite eine neue Willkommenskultur entstand, getragen durch freiwillige Initiativen und zahlreiche ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, zeigt sich auf der anderen Seite zunehmende Fremdenfeindlichkeit, die sich in gewaltsamen Übergriffen gegen Geflüchtete entlädt. Die Integration von Fluchtmigrantinnen und -migranten, die oft unter schwierigen und traumatischen Fluchtverläufen leiden, ist eine gewaltige und – vor dem Hintergrund zunehmender gesellschaftlicher Polarisierung – schwierige Aufgabe. Integration verstehen wir hier als den “Grad, zu dem ZuwanderInnen über das Wissen und die Fähigkeit verfügen, ein erfolgreiches, erfülltes Leben in der Aufnahmegesellschaft aufzubauen” (2). Die soziale Integration von Migrantinnen und Migranten ist dabei eng mit ihrer erfolgreichen Arbeitsmarktintegration verflochten. Fluchtmigrantinnen und Fluchtmigranten unterscheiden sich jedoch stark von „freiwilligen“ Migrierenden, die beispielsweise aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland kommen. Geflüchtete migrieren meist nicht aus freiem Willen, sind oft traumatisiert und können nur bedingt über das Ziel ihrer Flucht entscheiden, so dass es ihnen an Sprach- und Kulturkenntnissen sowie an sozialen Kontakten mangelt. Menschen, die unfreiwillig ihr Land verlassen, verfügen daher selten über Fähigkeiten, Fertigkeiten und auch Qualifikationen, um im jeweiligen Aufnahmeland Arbeit zu finden.
In dieser Situation kommt Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern eine bedeutsame Rolle zu. Nicht nur müssen Arbeits- und Ausbildungsplätze bereitgestellt werden, sondern Integration findet ganz konkret in Unternehmen statt. Während sich zahlreiche Studien mit den institutionellen sowie individuellen Bedingungen und Barrieren für die Arbeitsmarktintegration von Migrantinnen und Migranten beschäftigen, wissen wir überraschend wenig über die organisationale oder betriebliche Dimension der Integration dieser Menschen, ganz allgemein, und Geflüchteter im Speziellen. Dabei ist es meist die betriebliche Ebene, auf der Integration stattfindet oder wortwörtlich „erarbeitet werden muss“. Schließlich ist bislang noch weitestgehend unklar, warum (Flucht-) Migrantinnen und Migranten eingestellt werden – sei es aus instrumentellen oder moralischen Gründen – und wie der Integrationsprozess gestaltet werden kann. Im Folgenden wenden wir uns zunächst der Frage zu, warum Unternehmen Geflüchtete einstellen, sodann nehmen wir die Herausforderungen der betrieblichen Integration in den Blick. Wir schließen mit einer kurzen Diskussion von Integrationsmaßnahmen und –taktiken und verweisen auf ein aktuell laufendes Forschungsprojekt des Exzellenzclusters der Universität Konstanz zu „Integration @ Work“. Zur Illustration einzelner Aussagen nehmen wir Bezug auf Ergebnisse einer Unternehmensbefragung, die wir 2018 an der Universität Konstanz unter mehr als 200 Unternehmen durchgeführt haben, die Geflüchtete eingestellt hatten (3).
Warum stellen Unternehmen Geflüchtete ein?
Im Hinblick auf die Beweggründe für die Einstellung von Geflüchteten lassen sich zwei zentrale Motive unterscheiden: gesellschaftliche Verantwortung und instrumentelle Gründe. Nach der sogenannten „Flüchtlingskrise“ von 2015 unterstützten viele Unternehmen flüchtlingsbezogene Anliegen im Rahmen ihrer sozialen Verantwortung als Unternehmen. Diese Unterstützung erfolgte zunächst häufig in Form von Spenden und Freiwilligenarbeit, zunehmend aber auch in Form von berufsvorbereitenden Praktika und Einstiegsqualifizierungen. Die aktive Anwerbung von Geflüchteten für Arbeits- und Ausbildungsstellen leitete damit einen Wandel von einer rein auf die Gemeinschaft bezogenen hin zu einer Mischung aus gemeinschafts- und mitarbeiterorientierten Unternehmensverantwortung ein. Daneben sind instrumentelle Gründe von Bedeutung. Wie andere ausländische Arbeitskräfte können Geflüchtete eine wertvolle Ressource im Hinblick auf ihre Sprachkenntnisse, ihre bisherigen Erfahrungen und ihren Zugang zu bestimmten Märkten darstellen. Diese Vorzüge sind besonders wichtig für Handelsunternehmen, die auf internationalen Märkten oder in bestimmten Ländern tätig sind. Weiterhin haben einige empirische Untersuchungen in Deutschland und im Vereinigten Königreich gezeigt, dass Geflüchtete und Migrierende hoch motiviert und in Bezug auf Arbeitszeiten und Löhne flexibler sind. Abschließend spielt der Fachkräftemangel eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die Rekrutierung von Geflüchteten sowie die Ausbildung von Azubis mit Fluchthintergrund ist eine Möglichkeit, dringend benötigte Fachkräfte auszubilden und an das Unternehmen zu binden.
Die Kontrastierung von moralischen und instrumentellen Motiven muss aber nicht ein Entweder- oder heißen. Gerade die Verbindung von gesellschaftlicher Verantwortung mit unternehmerischem Nutzen kann als eine Form der strategischen Unternehmensverantwortung verstanden werden. Diese setzt auf „enlightened self-interest“, also ein aufgeklärtes Eigeninteresse, welches davon ausgeht, dass sich unternehmerisches Engagement für das Gemeinwesen langfristig lohnt. In unserer Befragung von Unternehmen, die Geflüchtete eingestellt haben, geben etwa zwei Drittel der 200 befragten Unternehmen an, dass es eine Frage gesellschaftlicher Verantwortung sei, Geflüchtete einzustellen. Gleichzeitig gaben acht von zehn Unternehmen an, große Probleme bei der Rekrutierung von Fachkräften zu haben. Sowohl instrumentelle als auch moralische Motive scheinen also bei der Einstellung von Geflüchteten eine Rolle zu spielen. Interessant ist, dass nur jedes sechste Unternehmen aktiv nach geflüchteten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gesucht hatte. Die meisten Unternehmen wurden von Geflüchteten selbst, von Helferkreisen, Flüchtlingslotsinnen und -lotsen der Arbeitsagentur angesprochen, ob sie eine Geflüchtete einstellen würden. Es spricht also einiges dafür, dass situative und normative Faktoren von besonderer Bedeutung sind und strategische Aspekte eine oft nachgelagerte Rolle spielen.
Herausforderungen der betrieblichen Integration
Schon die Einstellung von Geflüchteten kann ungeahnte Probleme mit sich bringen. Sechs von zehn Unternehmen berichten von höheren rechtlichen Hürden, welche die Einstellung schwierig gemacht und zu Verzögerungen geführt haben. Für viele Unternehmen möglicherweise eine Hürde, die sie davon abhält, überhaupt erst Geflüchtete anzustellen. Die lokalen Handwerkskammern sowie Industrie und Handelskammern, aber auch andere Träger, haben deswegen sogenannte „Flüchtlingslotsen“ oder „Kümmerer“ eingesetzt, die vor Ort, häufig mit großem persönlichem Engagement, nicht nur den Kontakt zwischen Geflüchteten und Unternehmen herstellen, sondern zudem dabei helfen, administrative und rechtliche Hürden zu bewältigen. Ist die Hürde der Einstellung genommen, stellt sich die Frage der betrieblichen Integration sowohl im Hinblick auf die praktischen Arbeitsprozesse und Aufgaben als auch im Hinblick auf die soziale Integration und Anerkennung in der Belegschaft.
Den Sprachkenntnissen kommt bei der Integration am Arbeitsplatz eine zentrale Rolle zu, da sie sowohl die Leistung des neuen Mitarbeiters als auch seine Interaktion mit den Kolleginnen und Kollegen beeinflusst. Neben Deutsch müssen die Geflüchteten gleichzeitig die Fachsprache ihres jeweiligen Arbeitsgebiets erlernen. Sprache besteht dabei nicht nur aus ihrem verbalen Teil, sondern ebenso aus nonverbalen Äußerungen, Körpersprache, Zeichen, deren Entzifferung sich für Mitarbeitende aus kulturell entfernten Ländern als außerordentlich schwierig erweisen kann. Wechselseitiges Verstehen wird in der Konstanzer Studie als zentrale Herausforderung genannt, mit großen Problemen im Bereich des Schreibens, Lesens aber auch Sprechens.
Neben den Qualifikationen wie Sprache, aber auch schulischen Voraussetzungen, spielt die Gesundheit der Geflüchteten eine wichtige Rolle. Fluchtmigrantinnen und -migranten haben häufig traumatische Erfahrungen gemacht und bisweilen mit körperlichen Beschwerden zu kämpfen. Neben der Sprache zeigt sich in der Analyse unserer Daten, dass gesundheitliche Probleme ein wichtiger Prädiktor für Probleme bei der betrieblichen Integration sind, insbesondere im Hinblick auf Fehlzeiten und praktische Arbeitsleistung. Dies unterscheidet die Herausforderung der Integration von Geflüchteten deutlich von der anderer migrantischer Gruppen.
Weitere wichtige Herausforderungen sind die Unsicherheiten, die aus einem ungeklärten Aufenthaltsstatus resultieren, die Anerkennung ihrer akademischen und beruflichen Qualifikationen sowie die Diskrepanzen zwischen ihrer Ausbildung in ihren Heimatländern und den deutschen Erwartungen. Abschiebungen, bisweilen sogar während der Arbeitszeit, belasten die Mitarbeitenden und Arbeitgeber, die sich häufig für die Geflüchteten eingesetzt und persönliche Verbindungen aufgebaut haben.
Abgesehen von der individuellen Situation und den Fähigkeiten der Geflüchteten, hängt die betriebliche Integration in hohem Maße von sozialen Prozessen innerhalb des Arbeitsteams und der Organisation ab. Bei heterogenen Teams lässt sich ein erhöhtes Maß an Konflikten und potentieller Diskriminierung erwarten. Menschen neigen dazu, sich mit solchen Menschen zu identifizieren und mit denjenigen Gruppen zu bilden, mit denen sie ähnliche Eigenschaften wie Sprache, Hautfarbe, Werte und Interessen teilen. Als Folge von sozialen Identitäts-, Kategorisierungs- und Bewertungsprozessen folgen häufig Stereotypisierung und Diskriminierung.
Derartige Probleme bei der Integration von Geflüchteten sind aber nicht unvermeidbar. Tatsächlich scheint die betriebliche Integration trotz dieser Herausforderungen zumeist sehr gut zu funktionieren. Fast drei Viertel aller befragten Unternehmen berichten, dass Geflüchtete als vollwertige Kolleginnen und Kollegen in der Belegschaft akzeptiert seien. Sieben von zehn Unternehmen geben an, dass die Arbeitsleitung den gestellten Erwartungen entspräche. Es zeigt sich, dass ein bewusstes Eingreifen der Unternehmen die angesprochenen Probleme verhindern und die schnellere Integration von Geflüchteten in ihre Teams und in ihr Arbeitsumfeld erleichtern kann. Integration ist ein vielschichtiger Prozess, bei dem sich sowohl die Mitarbeitenden mit Fluchthintergrund als auch das Unternehmen und die Belegschaft aktiv einbringen müssen.
Organisationale Taktiken und Maßnahmen
Organisationale Maßnahmen zur betrieblichen Integration von Geflüchteten hängen vor allem von der Unternehmensgröße ab und unterscheiden sich daher stark zwischen kleinen und großen Unternehmen. Größere Unternehmen verfügen meist über die Ressourcen zur Umsetzung von Diversity-Management-Strategien, die sich nicht nur auf Geflüchtete beschränken, sondern generell Mitarbeitende mit Migrationshintergrund einschließen. In kleineren Unternehmen wird Hilfe häufig informell und persönlich organisiert. Ausbilderinnen und Ausbilder nehmen sich extra Zeit, helfen in der Schule oder bei Sprachproblemen. Unabhängig von der Unternehmensgröße können Unternehmen, die Geflüchtete einstellen, Unterstützung bei Behördengängen oder bei der Wohnungssuche anbieten, zusätzliche Deutschkurse vermitteln, Mentorinnen und Mentoren bestimmen, oder gar Nachhilfeunterricht für Geflüchtete in der Ausbildung organisieren.
Die Integration in den Betrieb hängt nicht zuletzt von der erfolgreichen organisationalen Sozialisation ab. Damit ist der Prozess gemeint, in dem die Neulinge – in unserem Fall die Geflüchteten – von Außenseitern zu vollwertigen Mitgliedern der Organisation werden. Bei der organisationalen Sozialisation bilden die oben beschriebenen Probleme eine zentrale Herausforderung. Dinge, die selbstverständlich scheinen, müssen explizit und verständlich benannt und erklärt werden. Das Erlernen der deutschen Sprache gilt als zentraler Schlüssel zur Integration. Aber auch Fachsprache und implizite Erwartungen und Regeln müssen vermittelt werden. Es gilt zudem, gesundheitliche Probleme zu erkennen und frühzeitig den Umgang mit diesen zu unterstützen. Auf Seiten der Belegschaft zeigt sich, dass mögliche Vorbehalte und Vorurteile die Integration deutlich erschweren können. Ein offenes Wort oder die bewusste Zusammenstellung von Teams kann hier helfen, ist aber nicht immer möglich. Eine starke Unterstützung von Geflüchteten im Betrieb kann bisweilen zu Reaktanz in Form von einem Gefühl der Ungleichbehandlung und Ungerechtigkeit bei anderen Beschäftigten führen. Deswegen ist es wichtig, immer zugleich die anderen Mitarbeitenden in den Blick zu nehmen und auch ihnen Verantwortung für die Geflüchteten zu übertragen.
Wichtige Hinweise, Hilfe und Unterstützung bei der Einstellung und Integration von Geflüchteten bieten nicht nur die lokalen Kümmerer und Flüchtlingslotsinnen und -lotsen, sondern auch Netzwerke wie „Unternehmen integrieren Flüchtlinge“ (4) , die Informationen bereitstellen und den Austausch unter Unternehmen fördern.
Aktuelle Forschung
In der Managementforschung wurden Migrantinnen und Migranten bisweilen als “vergessene Minderheit” bezeichnet (5). Zwar existiert eine überschaubare akademische Forschung zur Integration von Migrierenden und Geflüchteten, aber insbesondere eine Perspektive, die Integration als organisationalen und temporalen Prozess versteht, fehlt bislang. Ein aktuell laufendes Vorhaben, das darauf abzielt, die Faktoren der Integration von Beschäftigten mit Migrationshintergrund zu erforschen, ist das Projekt „Integration@Work“ an der Universität Konstanz. Das Projekt (2019-2023) untersucht die kurz- und langfristige Integration von Auszubildenden mit Migrationshintergrund, inkl. Flüchtlingen, am Arbeitsplatz. Die Studie – gefördert vom Exzellencluster „Politics of Inequality“ der Universität Konstanz und unterstützt vom Zentralverband des Deutschen Handwerks und dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag – verfolgt dabei die Auszubildenden mit einer speziellen mehrsprachigen Smartphone-Befragungs-App über die gesamte Dauer ihrer Ausbildung. So hoffen wir zukünftig besser aufzeigen zu können, welche Faktoren die betriebliche Integration von Geflüchteten und Migrierenden bedingen. Das Problem des Fachkräftemangels ist auch in Zeiten der Coronavirus-Pandemie nicht gelöst und die langfristige (wirtschaftliche) Integration von migrantischen Beschäftigten bleibt eine zentrale gesellschaftliche Herausforderung.
Autoren
Prof. Dr. Sebastian Koos
ist Juniorprofessor für Corporate Social Responsibility am Fachbereich für Politik- und Verwaltungswissenschaften und Mitglied des Exzellenzclusters „The Politics of Inequality“ der Universität Konstanz. Dort leitet er mit anderen Kolleginnen und Kollegen das Projekt „Integration@work“. (Foto: Ines Njers)
Anna Apostolidou
ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „Integration@work“ des Exzellenclusters „The Politics of Inequality“ der Universität Konstanz.
(1) Statistisches Bundesamt (2019) “Bevölkerung und Erwerbstätigkeit 2018: Schutzsuchende“.
(2) Harder, N., L. Figueroa, R. M. Gillum, D. Hangartner, D. D. Laitin, and J. Hainmueller. 2018. “Multidimensional measure of immigrant integration.” Proceedings of the National Academy of Sciences – PNAS, 115(45):11483-88.
(3) Der vollständige Bericht findet sich hier: ttps://www.researchgate.net/publication/336719681_Gelingt_die_betriebliche_Integration_von_Gefluchteten_Ergebnisse_einer_Unternehmensbefragung
(4) https://www.unternehmen-integrieren-fluechtlinge.de
(5) Binggeli, Steve, Joerg Dietz, and Franciska Krings. 2013. “Immigrants: A Forgotten Minority.” Industrial and Organizational Psychology 6(1):107-13.