Herausforderungen in der textilen Lieferkette

Mathias Diestelmann und Rabea Schafrick im Interview

Mathias Diestelmann ist Geschäftsführer von Brands Fashion, Rabea Schafrick leitet das Nachhaltigkeitsmanagement des Unternehmens. Beide kennen die Situation ihrer Zulieferer in Asien gut. Für das CSR MAGAZIN sprach Achim Halfmann mit ihnen.

CSR MAGAZIN: Corona hat den Textilsektor hart getroffen …

Mathias Diestelmann: Die Nachfrage im B2C ist deutlich zurückgegangen. In den letzten Wochen und Monaten sind daher deutlich weniger Massen geordert worden. Das ist ein Aspekt, dem ich auch etwas Positives abgewinnen kann: Jeder Deutsche kauft ca. 60 Kleidungsstücke pro Jahr, das macht insgesamt ca. fünf Mrd. Kleidungsstücke. Davon wandern fünf bis zehn Prozent ungetragen in den Müll. Ich sehe die aktuelle Situation somit auch als Chance, nachhaltiger zu produzieren und auf Qualität anstatt auf Masse zu setzen.

Als Brands Fashion bieten wir in erster Linie Berufstextilien ̶ überwiegend Bekleidung, vereinzelt Accessoires -̶ im B2B für den Lebensmittelsektor, Bau und Handel. Hinzu kommen Merchandising-Artikel für Fußballvereine und für NGOs. Auch bei uns sind Ordern verschoben worden und wir haben Produkte zunächst in dem eigenen Lager gehalten. Größere Auftragsstornierungen haben wir allerdings nicht erlebt und konnten somit Aufträge in Fernost aufrechterhalten.

Welche Herausforderungen stellen sich in Ihren Lieferketten angesichts COVID 19?

Mathias Diestelmann: Wir sourcen überwiegend in Fernost ̶ Indien, Bangladesch, Pakistan, China, Indonesien ̶ und zu einem kleinen Teil in der Türkei. Mit unserer Lieferkette beschäftigen wir uns tiefgehend und wir wissen, wo und von wem wir etwas kaufen. In Indien kennen wir jeden Akteur der Kette ̶ vom Baumwollfeld bis zum finalen Produkt. Unsere Sourcing-Maßnahme heißt Konzentration: Wir sind sehr lieferantentreu, anders können wir Nachhaltigkeit nicht garantieren.

Durch die Reisebeschränkungen aufgrund von COVID 19 können wir jetzt nicht mehr selbst vor Ort sein, sondern sind auf Partner angewiesen. In Bangladesch und China unterhalten wir eigene Büros mit eigenen Mitarbeitern. In anderen Ländern sind wir auf externe Partner angewiesen, die auf soziale und ökologische Grundlagen der Produktion achten. Das betrifft z.B. auch die Schutzmaßnahmen in der Pandemie-Situation: Wir fordern solche Maßnahmen ein, deren Umsetzung wird uns per Video zeigen lassen, selbst vor Ort sein können wir derzeit nicht.

Rabea Schafrick: Aufgrund der Pandemie wurden Fabriken geschlossen und dann langsam wieder geöffnet. Die von uns herausgegebenen Empfehlungen beziehen sich auf Hygienemaßnahmen und das Social Distancing am Arbeitsplatz. Uns haben Beschwerden erreicht, dass Sicherheitsmaßnahmen nicht eingehalten oder Gehaltsbestandteile nicht ausgezahlt wurden. Solche Vorwürfe lassen wir umgehend von unseren Teams vor Ort prüfen.

Mathias Diestelmann: Eine Herausforderung bleibt der Weg zur Arbeit; da werden die Arbeiterinnen und Arbeiter in Bussen auf engstem Raum zusammengedrängt. Zudem sind die sanitären Verhältnisse in vielen Wohngebieten prekär. Und zahlreiche Arbeiter leben in großen Wohnheimen.

Spätestens seit dem verheerenden Gebäudeeinsturz in Dhaka mit über 1.100 Toten gilt Bangladesch als eine besondere Herausforderung für die Verantwortungsübernahme in der textilen Lieferkette. Wie sieht es dort vor Ort aktuell aus?

Mathias Diestelmann: Von 2006 bis 2016 habe ich Büros in Bangladesch und China geleitet und acht Jahre selbst in diesen Ländern gelebt. Das hilft mir, die Situation unserer Zulieferer dort einzuschätzen.

Auch in Bangladesch ist unsere Strategie, dass wir uns auf ausgewählte Zulieferer konzentrieren, diese bestmöglich auslasten und sie zugleich darin unterstützen, grüner zu werden.

Vieles hat sich in Bangladesch verändert, die Textilverbände haben ein großes Interesse daran, diese Kernindustrie im Land zu behalten. Allerdings halte ich das Thema ‚Arbeitnehmerrechte‘ auch heute noch für komplett unterbewertet. Der Mindestlohn in Bangladesch wurde 2019 auf 80 Dollar angehoben; das reicht meiner Meinung nach hinten und vorne nicht.

Rabea Schafrick: Durch den Accord ̶ das im Mai 2013 geschlossene Abkommen über Brandschutz und Gebäudesicherheit in Bangladesch ̶ hat sich etwas geändert. Das begann mit dem Brandschutz und der Gebäudesicherheit: Mit Brandschutztüren und Alarmanlagen sehen manche Fabriken in Bangladesch heute aus wie europäische Produktionsstätten.

Etwa sechs Jahre später haben sich die Akteure im Accord dem Thema Arbeitnehmerrechte gestellt. Es gibt große Trainingsprogramme mit tollen Materialien, die dieses Thema spielerisch vermitteln. Es gibt die Verpflichtung zur Gründung von Arbeitnehmer-Komitees, die in Schulungen mehr über die geltenden Arbeits- und Sicherheitsbestimmungen erfahren. Der auch in Bangladesch eingeführte Beschwerdemechanismus für Arbeiterinnen und Arbeiter funktioniert gut; wir erhalten regelmäßig Beschwerden über diesen Verteiler. Arbeiterinnen und Arbeiter wissen: Wir dürfen uns beschweren, wenn wir einen Riss in der Wand sehen. Und wir haben Leute vor Ort, die sofort in die Fabrik fahren und das überprüfen können.

Dann ist die Arbeit des Accord in Bangladesch im Großen und Ganzen eine Erfolgsgeschichte?

Rabea Schafrick: Ja, allerdings mit Einschränkungen: Der Accord war eine Initiative von Brands und NGOs, die den Lieferanten in Bangladesch aufgedrängt wurde. Das erzeugte Konflikte. Seit diesem Sommer wird die Arbeit des Accord in den RMG Sustainability Council (RSC) ̶ eine nationale Initiative ̶ überführt. Diese Initiative wird die Schulungen und Kontrollen fortsetzen. Aktuell können allerdings aufgrund der Corona-Pandemie viele Kontrollen nicht stattfinden.

Mathias Diestelmann: Kritisiert wird, dass der Accord in die Souveränität der Unternehmen eingegriffen hat. Dem ist so, allerdings: Hätten wir nicht eingegriffen, dann hätte sich nicht viel geändert ̶ und es gab tatsächlich deutliche Veränderungen! Wenn Lieferanten klagen, das ginge zu Lasten ihrer Profite, kann ich das nur in Teilen glauben. Und: Eine Wahl zwischen Wegschauen und mehr Zahlen darf es nicht geben. Dass jetzt die ‚Textilkaravane‘ in größerem Umfang aus Bangladesch nach Afrika weiterzieht, kann ich nicht erkennen.

Eingangs erwähnten Sie Indien und dass Sie dort vom Baumwollfeld bis zum finalen Produkt jeden Akteur in Ihrer Lieferkette kennen. Dabei gibt es dort keinen Accord …

Rabea Schafrick: In Indien arbeiten wir mit GOTS-zertifizierten Materialien aus Biobaumwolle. Hinter dem Global Organic Textile Standard steht ein System, das die Lieferkette offenlegt: Jede vorausgehende Produktionsstufe muss freigegeben werden. Wir verpflichten unsere Lieferanten zu diesen Offenlegungen und können so auch sehen, von welchem Baumwollfeld die Rohstoffe für unsere Naturtextilien kommen.

Außerdem arbeiten wir mit recycelten und ebenfalls zertifizierten Fasern.

Über die Jahre haben wir in Indien viele Projekte mit unseren Lieferanten umsetzen können: Beispiele sind die Eröffnung einer ‚grünen‘ Fabrik, den Bau von Solaranlagen oder Recyclinganlagen für Regenwasser und Projekte zur Zahlung existenzsichernder Löhne.

Indien ist sozusagen unser ‚Role Model‘: Wir wollen zeigen, was an Verantwortungsübernahme in der eigenen Lieferkette möglich ist, und das dann auch auf andere Länder übertragen.

Vielen Dank für das Gespräch!

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