Plastikmüllvermeidung und die Verbraucher
Daniel Silberhorn
Eine Folge der Corona-Pandemie: In den Mülltonnen landet mehr Plastikmüll. Der Grüne Punkt berichtete im Juni 2020 von deutschlandweit etwa 10 Prozent mehr Verpackungen insbesondere durch Gesichtsmasken, To-Go-Mahlzeiten oder Einmalhandschuhe. Das zeigt sich besonders in den Großstädten. Für die Stadt Frankfurt bestätigte der lokale Müllentsorger FES für März und April 2020 etwa elf Prozent mehr Verpackungsmüll. Das sind knapp 290 Tonnen mehr. Dabei ist das Problem, was mit dem preisgünstigen und flexiblen Material Plastik nach seiner Nutzung geschieht, bekanntermaßen auch ohne COVID19 bereits groß genug.
Die Deutschen produzierten schon vor der Corona-Krise so viel Verpackungsmüll wie nie zuvor. Das Umweltbundesamt hatte im November 2019 entsprechende Zahlen für das Jahr 2017 vermeldet: 18,7 Millionen Tonnen – eine Steigerung um drei Prozent gegenüber dem Vorjahr. 47 Prozent der Verpackungen fielen in den privaten Haushalten an. Seit dem Jahr 2000 hat sich der Jahresverbrauch hierzulande auf 25,4 Kilogramm pro Kopf verdoppelt. Und das sind nur die Zahlen für Deutschland.
Kein Wunder, dass sich die Europäische Union nun besonders das Einwegplastik vornimmt: Von selbst, so die Erkenntnis, löst sich das Problem nicht. Für Deutschland hatten zuletzt im März 2020 die Europäischen Wissenschaftsakademien klare Schritte gefordert: Müll dürfe nicht mehr exportiert werden (Deutschland exportiert jährlich gut eine Million Tonnen Plastikabfälle), die Recycling-Technik müsse verbessert, Hersteller zu einfach designten Produkten verpflichtet, der Anteil von recyceltem Material vorgeschrieben und die Folgekosten für die Verbraucher eingepreist werden. Denn der Preis sei das beste Mittel, um das Verhalten der Menschen zu beeinflussen.
Kaum recyceltes Plastik in Neuprodukten
Besonders Vertreter der Industrie verweisen gerne auf eine Verantwortung der Verbraucher: Sie müssten besser recyceln. Denn es gäbe einfach nicht ausreichend recyceltes Plastik in der notwendigen Qualität, um dessen Anteil in neuen Verpackungen deutlich zu erhöhen. Dass das aber nicht allein die Lösung sein kann, zeigt sich schon daran, dass zwar die Recyclingquote in Deutschland bei 45 Prozent (2016) liegt – aber nur knapp 16 Prozent des gesammelten Plastiks wirklich für neue Produkte verwendet wird. Was sollen wir Verbraucherinnen und Verbraucher also tun?
Intuitiv würden die meisten auf Papier und Glas ausweichen wollen. Umweltschutz ist in der Realität der Lebenszyklusanalysen jedoch komplexer. Durch das geringere Gewicht wird etwa beim Transport von PET-Mehrwegflaschen im Vergleich zu Glasflaschen weniger Rohöl verwendet. Dadurch steht bei längeren Transportwegen PET in der Ökobilanz etwas besser da – obwohl Glasflaschen doppelt so oft wiederverwendet werden können. Bei aus Nachhaltigkeitsgründen empfehlenswerten regionalen Mehrwegsystemen liegt das Glas dann vorne. Und selbst Vertreter der Naturschutzorganisation Nabu merken an, dass die Papiertüte nicht unbedingt umweltfreundlicher ist als die Einkaufstüte aus Plastik. Es ist kompliziert.
Repair Cafés und Unverpackt-Läden
Unter anderem als Antwort auf das Plastikmüll-Problem ist in den letzten Jahren eine Philosophie populär geworden, die generell nach Nachhaltigkeit strebt und besonders bei jungen Menschen zum mehr oder weniger konsequenten Lebensstil wird: Zero Waste. Sie könnte ein Teil der Lösung werden, als Orientierung für uns als Verbraucher im Alltag – und wenn Unternehmen mitziehen.
Dabei geht es um die gezielte Vermeidung von Abfall, generell um einen bewussten Konsum, Wiederverwendung und Reparieren von Gegenständen, Kompostieren und Recycling. Dafür entstehen in unseren Städten immer neue Angebote, von Second-Hand-Läden über Tauschbörsen bis hin zu Repair Cafés und einer stetig wachsenden Zahl an Unverpackt-Läden.
Selbst Lebensmittelketten greifen die Entwicklung auf. Seit August 2020 verzichtet Rewe bundesweit bei Bio Obst und Gemüse auf Verpackung und will so 210.000 kg Plastik jährlich sparen. Andere besprühen verderbliche Lebensmittel mit einer ungiftigen Schutzschicht (Coating). Und liegen damit voll im Trend. Laut Utopia-Studie 2020 wollen 72 Prozent der Befragten weniger Verpackung, und 57 Prozent explizit „wenig Plastik“. Doch wir wissen auch um die berüchtigte ‚Mind-Behavior-Gap‘, also die Lücke zwischen dem, was wir als unsere Werte angeben, und dem Verhalten, das wir zeigen. Obwohl wir Nachhaltigkeit wollen, entscheiden wir uns an der Supermarktkasse oft doch anders.
Gegen den Mind-Behavior-Gap
Was tun? Ein Problem: Wir haben uns in der Kommunikation zu Nachhaltigkeitsthemen oftmals angewöhnt, mit drastischen Bildern und dramatischer Rhetorik die Folgen eines nicht nachhaltigen Verhaltens aufzuzeigen – um die Dringlichkeit zu verdeutlichen. „Our house is on fire“, sagte etwa Greta Thunberg mit Blick auf den Klimawandel. Wir versuchen damit, andere zu überzeugen, aufzurütteln, dass wir unser Leben ändern müssen. Die Frage ist, ob wir das so auch erreichen.
Denn so richtig es ist, den Ernst der Lage mit sehr klaren Worten zu verdeutlichen: Bedrohliche Katastrophenbilder einer nahenden Apokalypse im Übermaß können Menschen lähmen, sie nutzen sich zudem in ihrer Wirkung ab, werden verdrängt, oder aus Hilfslosigkeit verärgert abgelehnt. Wir müssen deshalb das Narrativ auf der Alltagsebene erweitern – eine andere Geschichte erzählen.
Die meisten Menschen brauchen eine Vorstellung davon, wo es hingehen soll. Und welche Rolle sie dabei spielen. Wichtig ist daher, dass wir darüber sprechen, wie unser nachhaltigeres Leben sein kann. Nicht im Sinne von Verzicht auf alles, was uns heute gefällt. Sondern im Sinne eines Gewinnes an Lebensqualität. Und dann eine Wahl zwischen Business as usual und einer alternativen Zukunft bieten. Verbunden mit klar kommunizierten, umsetzbaren Handlungsoptionen für den Alltag.
Vision als Polarstern des Handelns
Es ist ein wenig wie das Motto ‚Flatten the Curve‘ zu Beginn der Corona-Krise: Die Sinnfälligkeit von Maßnahmen zeigte sich an den anschaulich gemachten Szenarien. Halten wir uns an einige einfache Regeln, bleibt die Kurve der Neuinfektionen flach, und unser Gesundheitssystem kann alle Betroffenen versorgen. Halten wir uns nicht an die Regeln, schnellt die Zahl der Infektionen zu rasch in die Höhe, und unser System stößt an seine Grenzen. Jeder weiß, wie er oder sie ganz konkret im Alltag handeln kann, um einen wünschenswerten Zustand zu erreichen.
Das gilt übrigens auch für Unternehmen: Nachhaltigkeit braucht auch beim Thema Plastik bewusstes Storytelling, das von einer Vision als Polarstern des Handelns ausgeht. Diese ist Grundlage für ambitionierte Ziele auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse (ein klein wenig schlechter als bisher ist in den Augen der Stakeholder nicht ausreichend – es ist Zeit für das große Rad!), und diese Ziele dann in authentisches Handeln auf kurzfristiger wie langfristiger Perspektive übersetzt. Es geht dabei nicht darum, ständig Erfolge zu feiern. Sondern die Verantwortung anzunehmen und die Stakeholder im Dialog mit auf den Weg zu nehmen. Und auch bei Misserfolgen transparent zu sein.
Wir müssen, wenn wir etwas bewirken wollen, immer die Frage beantworten, die jeden Menschen antreibt: „What’s in it for me?“ – was habe ich persönlich davon, und zwar hier und heute? Und umweltfreundliches Verhalten möglichst einfach machen. Die 2008 populär gewordene Nudge Theory zeigt: Ein bestimmtes Verhalten wird wahrscheinlicher, je bequemer es zu realisieren ist. Es hilft oft mehr, bewusste kleine Anstöße zu geben, als die große Keule aus dem Schrank zu holen.
Kleine Anstöße statt große Keule
Wer sich mit Anbietern von Zero Waste-Workshops unterhält – in vielen Städten Deutschlands gibt es inzwischen entsprechende Initiativen, wie etwa von ‚Zero Waste Frankfurt‘ – hört viel von Vorbehalten gegenüber dem Konzept: Zero Waste sei teuer, umständlich, erfordere viel Zeit. Eine Hürde aus Vorurteilen, die es zu nehmen gilt – durch Information und vor allem eigenes Erleben.
Statt Belehrungen bewähren sich partizipative, niederschwellige Angebote als Instrumente des Wandels, die auf persönlichen Austausch und zwangloses Ausprobieren setzen. Das ist auch für Unternehmen interessant – für wenig Geld, aber mit positiven Effekten für die eigene Reputation. Interne wie externe Stakeholder nehmen solches Engagement für die Umwelt sehr genau wahr.
So hat zum Beispiel die Agentur FleishmanHillard einen internen Zero Waste-Workshop organisiert. Dabei rührten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch selbst Deodorant an. Das Format erlaubte es zudem, persönliche Erfahrungen und Tipps einzubringen. Nachhaltige Snacks aus dem lokalen Unverpackt-Laden und Knärzje, mit altem Brot gebrautes Zero Waste-Bier, rundeten das gemeinschaftlich gestaltete Event mit Erlebnis- und Spaßfaktor ab. Bewerber sprechen teilweise noch heute die Berichterstattung dazu auf dem Firmen-Blog und in Social Media als positiv an.
Im Idealfall werden solche Aktionen nicht einfach zentral geplant, sondern gemeinsam in internen Workshops entwickelt. Dadurch haben die Mitarbeiter die Chance, ihren Interessen gemäß mitzugestalten. Werden die Maßnahmen umgesetzt, ist ihre Legitimation und Akzeptanz deutlich größer. Und spornen oft zu eigenen Ideen und Initiativen an.
Plastikvermeidung auf Verbraucherseite kann ganz klein beginnen. Wenn ein wachsendes Zero Waste-Bewusstsein auf ein verbreitertes Zero Waste-Angebot stößt, wird der Effekt groß.
Und das bedeutet weniger Plastik im Meer.
Daniel Silberhorn
ist Senior Consultant Corporate Communications and Sustainability bei FleishmanHillard in Frankfurt/Main
daniel.silberhorn@fleishman.com