Sustainable Development Goals und Unternehmensverantwortung

Christoph Schank

Die 2015 von den Vereinten Nationen verabschiedeten Sustainable Development Goals (SDGs) sind die notwendige Antwort auf eine globale Entwicklung, die durch klimatische Veränderungen, einen ungebremsten Raubbau an der Natur und eine weiterhin dynamische Bevölkerungsentwicklung die Gesellschaften von Industrienationen wie Schwellenländern unter enormen Druck setzt. Die insgesamt 17 (Ober-) Ziele adressieren die dringlichsten Auswirkungen wie Armut, Hunger, Ungleichheit oder politische Stabilität und nehmen Regierungen, Organisationen und darunter insbesondere Unternehmen gleichermaßen in die Pflicht. Und tatsächlich sind die Beiträge deutscher Unternehmen vielfältig und nicht selten überraschend.

Die Deutsche Telekom erforscht etwa mit smarten – das heißt mit intelligenter Sensortechnik und Netzanbindung ausgestatteten – Bienenstöcken das Bienensterben und leistet damit einen Beitrag zum Erhalt von Landökosystemen (Ziel 15). Aldi Süd kommuniziert den Aufbau eines eigenen Ladenetzes für Elektromobilität an mehr als 90 Filialen, gespeist aus eigenen Fotovoltaikanlagen, als Engagement für saubere und bezahlbare Energie (Ziel 7) und Siemens unterstützt als Beitrag zu Frieden, Gerechtigkeit und starken Institutionen (Ziel 16) mit seiner Siemens Integrity Initiative weltweit Projekte und Organisationen im Kampf gegen Korruption und unlautere Geschäftspraktiken.

Systematische Umsetzung oder doch nur SGD-Washing?

Die Aktivtäten der Unternehmen wirken jedoch oftmals zufällig und kaum systematisch verankert. Vorschläge zur Integration der Sustainable Development Goals wurden dabei frühzeitig in Form des „SDG Compass“ vom UN Global Compact, der Global Reporting Initiative und dem World Business Council for Sustainable Development (1) lanciert. Der Fünfklang aus Verstehen, Priorisieren, Ziele setzen, Integration in die Geschäftstätigkeit und Reporting ist in der Unternehmenspraxis aber noch keinesfalls zum selbstverständlichen Standard geworden. Bezeichnenderweise hat sich nach Green- und Bluewashing inzwischen auch der Begriff „SDG-Washing“ hinreichend etabliert, um den Missbrauch der SDG etwa zu Werbe- oder Imagezwecken als problematisches Phänomen nahezulegen.

Tatsächlich droht die Gefahr, dass kontroverse unternehmerische Aktivitäten einseitig positiv dargestellt werden, indem allein ihr Beitrag zu einem Entwicklungsziel unterstrichen wird – bei gleichzeitiger Nichtbeachtung aller Kollateralschäden, die möglicherweise an anderen Stellen entstehen. Im schlimmsten Fall werden unter dem Banner der Weltgesellschaft dadurch innerhalb des Unternehmens oder in seinem Umfeld Praktiken legitimiert, über die dringend kritische Diskurse geführt werden müssten. Weniger gravierend, aber der Akzeptanz der Entwicklungsziele ebenfalls nicht zuträglich, sind einfache Rebranding-Maßnahmen ohnehin bereits bestehender Aktivitäten, ohne dass diese hierdurch einen inhaltlichen Mehrwert erfahren oder in einen Zusammenhang mit der globalen Entwicklung gestellt werden.

Normative Einbettung und Wirkungsmessung

Die Beschäftigung mit den SDG verlangt von den Unternehmen eine strategische und normativ begründete Schwerpunktsetzung, die über ein willkürliches Rosinenpicken leicht erreichbarer Erfolge auf der einen, aber auch einem uninspirierten Abarbeiten möglichst aller Ziele auf der anderen Seite hinausgeht. Couragiert gewählte Wirkungsschwerpunkte korrespondieren dabei mit den eigenen Vorstellungen und Visionen lebenswerter Gesellschaften, den in der Organisation angestrebten und kultivierten Praktiken guten Wirtschaftens und damit dem eigenen Unternehmensleitbild als strategischem Instrument der Unternehmensführung. Dreh- und Angelpunkt aller Aktivitäten bleibt wie bei jeder Auseinandersetzung mit der eigenen Unternehmensverantwortung das eigene Kerngeschäft und die damit verbundenen Auswirkungen entlang und möglicherweise auch neben der Wertschöpfungskette.

Gleichzeitig muss kritisch mit der Vorstellung umgegangen werden, alle Ziele könnten gleichzeitig und konfliktfrei verfolgt und optimiert werden. Ein Fischereiunternehmen kann beispielsweise zwar beträchtliche Fortschritte im Kampf gegen Armut (Ziel 1) und Hunger (Ziel 2) erzielen, muss sich gleichzeitig aber auch den Auswirkungen auf maritime Ökosysteme (Ziel 14) zuwenden. Eine authentische und glaubwürdige Auseinandersetzung mit den Sustainable Development Goals gelingt nur in enger Korrespondenz mit den normativen Wertvorstellungen und dem vom Unternehmen angestrebten Gesellschaftsentwurf, setzt konsequent an den Kernaktivitäten an und wird in ihrer Wesentlichkeit gegenüber den Anspruchsgruppen gut begründet.

Eine transparente Kommunikation des eigenen Beitrages zu den globalen Entwicklungszielen setzt weiterhin voraus, dass über die Zielsetzung und Zielerreichung Auskunft gegeben und Zeugnis abgelegt werden kann. Hier zeigen sich die Unternehmen in der Praxis bislang unterschiedlich ambitioniert. Die KfW Bank (2) hält fest, dass in der internationalen Bankenbranche, der eine hohe Relevanz in der Verwirklichung der globalen Ziele zugesprochen wird, nur eher allgemeine fallbeispielhafte Beschäftigungen (Labelling) oder nur geringfügig belastbarere qualitative Zielsetzungen (Flagging) dominieren. In dieser hinsichtlich der Qualität der Berichterstattung vergleichsweise professionalisierten Branche gehört die Messung von Impakt-Indikatoren oder die Formulierung von strategischen Zielgrößen wie KPIs noch immer zu den Randerscheinungen.

Keine vertane Chance

Die Sustainable Development Goals entfalten fünf Jahre nach ihrer Verabschiedung auf Unternehmen eine enorme Zugkraft. Die von ihnen ausgehende Motivation kann einen organisationalen Wandel initiieren oder begünstigen, der von der Unternehmensführung, den Mitarbeitenden wie auch von externen Anspruchsgruppen gemeinschaftlich gestaltet wird. Dies erscheint umso erfreulicher und dringlicher, da der Sustainable Development Report der Bertelsmann Stiftung (3) die staatlichen Bemühungen zur Erreichung der gemeinsamen Ziele für keineswegs ausreichend erachtet und große Versäumnisse sieht. Unternehmen können und sollen das mangelnde Engagement ihrer Regierungen nicht ersetzen, aber mit ihrer Innovationsfähigkeit wichtige neue Wege aufzeigen, wie die nachhaltige Entwicklung der Weltgesellschaft zukünftig gelingen kann.

Autor

Prof. Dr. Christoph Schank
ist als Juniorprofessor für Unternehmensethik an der Universität Vechta tätig.
christoph.schank@uni-vechta.de

Weitere Informationen

(1) Die Sustainable Development Goals – SDG-Berichterstattung bei Banken
(2) SGD Compass – Leitfaden für Unternehmensaktivitäten zu den SDGs
(3) Sustainable Development Report 2019

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