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Fahreignungsbeurteilung bei kardialen Erkrankungen

Einleitung

2024 wurden die im Jahr 2019 erstmals in Zusammenarbeit der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie (SGK) und der Sektion Verkehrsmedizin der Schweizerischen Gesellschaft für Rechtsmedizin (SGRM) erstellten Richtlinien leicht überarbeitet und aktualisiert. Dies erfolgte in Anlehnung an aktualisierte internationale Richtlinien (v.a. diejenigen der deutschen Gesellschaft für Kardiologie) sowie basierend auf den schweizerischen Gesetzesgrundlagen betreffend die medizinischen Mindestanforderungen gemäss VZV (Verkehrszulassungsverordnung) für die niedrigen (1. Gruppe) sowie die höheren (2. Gruppe) Führerausweiskategorien. Die folgenden Richtlinien sind tabellenübergreifend zu verwenden: So sind beispielsweise bei Vorliegen einer koronaren Herzkrankheit, begleitet von einer Herzinsuffizienz und einem Linksschenkelblock, Tab. 2 «Fahreignung bei Herzinsuffizienz», Tab. 3 «Fahreignung bei koronarer Herzkrankheit» sowie Tab. 4 «Fahreignung bei bradykarden Arrhythmien» zu berücksichtigen.

Diese Richtlinien sollen für die individuelle Beurteilung von kardiologisch-verkehrsmedizinischen Fragestellungen beigezogen werden. In Zweifelsfällen, insbesondere auch bei komplexen Fragestellungen (z.B. bei zusätzlich relevanten Krankheitsproblemen und höheren Führerausweiskategorien), muss jedoch zu einer verkehrsmedizinisch-spezialärztlichen Fahreignungsabklärung geraten werden.

Für weiterführende Informationen verweisen wir auf die Originalarbeit von 2019 (s. Quelle/Link Seite). Die überarbeitete Version von 2024 wurde bereits von der schweizerischen Gesellschaft für Rechtsmedizin und der Qualitätskommission der schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie gutgeheissen, ist aber im Moment noch nicht publiziert. Der Artikel wird, sobald publiziert, auch auf der Homepage der schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie (www.swisscardio.ch) verfügbar sein.

Führerausweiskategorien
1. Gruppe

(niedrige Führerausweiskategorien)

2. Gruppe

(höhere Führerausweiskategorien)

Führerausweis-Kategorien A und B

Führerausweis-Unterkategorien A1 und B1

Führerausweis-Spezialkategorien F, G und M

Führerausweis-Unterkategorie D1, falls Beschränkung auf 3.5 t

Führerausweis-Kategorien C und D

Führerausweis-Unterkategorien C1 und D1

Bewilligung zum berufsmassigen Personentransport, Verkehrsexperten

Fahreignung bei Synkopen
Tab. 1
  1. Gruppe 2. Gruppe
Vasovagale Synkope    
– einmalige vasovagale Synkope, nicht im Sitzen/beim Fahren fahrgeeignet fahrgeeignet
– rezidivierende vasovagale Synkopen oder einmalige vasovagale Synkope im Sitzen/beim Fahren fahrgeeignet, Wartefrist 1 Monat ab letztem Ereignis Einzelfallbeurteilung, Wartefrist minimal 3 Monate ab letztem Ereignis
Synkope mit auslösenden, behebbaren Faktoren (z.B. Schmerz, Anämie, Fieber, Dehydratation) fahrgeeignet, sobald auslösender Faktor behoben fahrgeeignet, sobald auslösender Faktor behoben
Synkope bei Brady- oder Tachyarrhythmien siehe Tab. 4, 5, und 6 siehe Tab. 4, 5, und 6
Unklare Synkope ohne Prodromi, welche eine adäquate Schutzreaktion der Patientin oder des Patienten erlauben fahrgeeignet, Wartefrist 3 Monate ab letztem Ereignis nicht fahrgeeignet bis Diagnose gestellt und Therapie eingeleitet. Bei fehlender Diagnose Wartefrist minimal 12 Monate ab letztem Ereignis.

Herzinsuffizienz (beliebige Ätiologie)
Tab. 2
* Keine Angina pectoris, keine relevanten Arrhythmien, körperliche Belastbarkeit > 4 METs. Pathologisches EKG mit bildgebendem Ischämietest abgeklärt.
  1. Gruppe 2. Gruppe
NYHA I fahrgeeignet fahrgeeignet, falls LVEF > 35% und Belastungstest normal*
NYHA II fahrgeeignet fahrgeeignet, falls LVEF > 35% und Belastungstest normal*
NYHA III fahrgeeignet, falls stabil und kompensiert nicht fahrgeeignet
NYHA IV nicht fahrgeeignet nicht fahrgeeignet
Herzunterstützendes System (left ventricular assist device) Einzelfallbeurteilung nicht fahrgeeignet
Status nach Herztransplantation fahrgeeignet nach erfolgreicher Rekonvaleszenz fahrgeeignet, falls NYHA I oder II und LVEF > 35% und Belastungstest normal, Wartefrist 3 Monate*
Fahreignung bei Koronarer Herzkrankheit
Tab. 3
* Myokardinfarkt Typ 1, und 2, MINOCA, Takotsubo-Kardiomyopathie
** Keine Angina pectoris, keine relevanten Arrhythmien, körperliche Belastbarkeit > 4 METs. Pathologisches EKG mit bildgebendem Ischämietest abgeklärt (siehe auch Tab. 2 «Herzinsuffizienz»).
  1. Gruppe 2. Gruppe
Akutes Koronarsyndrom* (konservative und invasive Therapie) fahrgeeignet, Wartefrist 1 Woche sofern keine Ruhebeschwerden (nicht CCS IV) fahrgeeignet, falls NYHA I oder II, LVEF > 35% und Belastungstest normal**, Wartefrist 4 Wochen
Elektive PCI fahrgeeignet fahrgeeignet, s. stabile KHK
Koronare Bypassoperation fahrgeeignet nach erfolgreicher Rekonvaleszenz fahrgeeignet, falls NYHA I oder II, LVEF > 35% und Belastungstest normal**, Wartefrist 3 Monate
Stabile Koronare Herzkrankheit fahrgeeignet, sofern keine Ruhebeschwerden (nicht CCS IV) fahrgeeignet, falls NYHA I oder II, LVEF > 35% und jährlicher Belastungstest normal**

Fahreignung bei bradykarden Arrhythmien
Tab. 4
  1. Gruppe 2. Gruppe
Sinusknotendysfunktion
(SA-Blockierung, Sinusarrest)
   
– asymptomatisch fahrgeeignet fahrgeeignet, falls Pausen < 6 s. Ansonsten fahrgeeignet nach PM-Implantation (siehe Tab. 7).
– symptomatisch fahrgeeignet nach PM-Implantation (siehe Tab. 7) fahrgeeignet nach PM-Implantation (siehe Tab. 7)
AV-Block I fahrgeeignet fahrgeeignet
AV-Block II (Wenckebach, Mobitz I) fahrgeeignet fahrgeeignet
AV-Block II (Mobitz II)    
– paroxysmal, im Schlaf fahrgeeignet fahrgeeignet
– im Wachzustand, unabhängig ob paroxysmal oder permanent und unabhängig von Symptomen fahrgeeignet nach PM-Implantation (siehe Tab. 7) fahrgeeignet nach PM-Implantation (siehe Tab. 7)
AV-Block III (angeboren) fahrgeeignet, falls asymptomatisch fahrgeeignet nach PM-Implantation (siehe Tab. 7)
AV-Block III (erworben), unabhängig von Symptomen fahrgeeignet nach PM-Implantation (siehe Tab. 7) fahrgeeignet nach PM-Implantation (siehe Tab. 7)
Rechtsschenkelblock/Isolierter Hemiblock fahrgeeignet fahrgeeignet
Linksschenkelblock fahrgeeignet fahrgeeignet nach Echokardiografie
Bifaszikuläre Blockbilder mit normaler PQ-Zeit fahrgeeignet fahrgeeignet
Bifaszikuläre Blockbilder mit verlängerter PQ-Zeit fahrgeeignet, falls asymptomatisch fahrgeeignet, falls asymptomatisch

Fahreignung bei supraventrikulären Arrhythmien
Tab. 5
* starker Schwindel, Präsynkope, Synkope
  1. Gruppe 2. Gruppe
Regelmässige supraventrikuläre Tachykardien (AVNRT, AVRT, ektope atriale Tachykardien, Vorhofflattern)    
– ohne erhebliche Symptome* fahrgeeignet fahrgeeignet
– mit erheblichen Symptomen* fahrgeeignet nach Radiofrequenzablation, Wartefrist 4 Wochen und kardiologische Kontrolle fahrgeeignet nach Radiofrequenzablation, Wartefrist 4 Wochen und kardiologische Kontrolle
Präexzitation («WPW», ohne Tachykardieanamnese) fahrgeeignet fahrgeeignet
Vorhofflimmern (bradykard oder tachykard)    
– ohne erhebliche Symptome* fahrgeeignet fahrgeeignet
– mit erheblichen Symptomen* fahrgeeignet nach effektiver Therapie (medikamentös/interventionell/Herzschrittmacher), Wartefrist 4 Wochen und kardiologische Kontrolle fahrgeeignet nach effektiver Therapie (medikamentös/interventionell/Herzschrittmacher), Wartefrist 4 Wochen und kardiologische Kontrolle

Fahreignung bei ventrikulären Arrhythmien
Tab. 6a
* starker Schwindel, Präsynkope, Synkope
Keine strukturelle Herzerkrankung, keine Ionenkanalerkrankung (typischerweise aus dem RVOT oder dem LVOT stammend) 1. Gruppe 2. Gruppe
Ventrikuläre Extrasystolen fahrgeeignet fahrgeeignet
Nicht-anhaltende Kammertachykardie (> 3 Schläge, > 120/min, < 30 s) ohne erhebliche Symptome* fahrgeeignet Einzelfallbeurteilung
Anhaltende Kammertachykardie (> 30 s) ohne erhebliche Symptome* fahrgeeignet Einzelfallbeurteilung
Nicht-anhaltende und anhaltende Kammertachykardie mit erheblichen Symptomen* fahrgeeignet nach effektiver Therapie (medikamentös/, Ablation), Wartefrist 4 Wochen und kardiologische Kontrolle fahrgeeignet nach effektiver Therapie (medikamentös/Ablation), Wartefrist 4 Wochen und kardiologische Kontrolle
Idiopathisches Kammerflimmern siehe Tab. 7 nicht fahrgeeignet
Tab. 6b
* starker Schwindel, Präsynkope, Synkope
Strukturelle Herzerkrankung (typischerweise bei KHK oder dilatativer Kardiomyopathie) 1. Gruppe 2. Gruppe

 

Ventrikuläre Extrasystolen fahrgeeignet fahrgeeignet
Anhaltende Kammertachykardie mit/ohne Symptome oder Kammerflimmern siehe Tab. 7 nicht fahrgeeignet (siehe Tab. 7)

 

Nicht anhaltende Kammertachykardie    
– ohne erhebliche Symptome* fahrgeeignet Einzelfallbeurteilung
– mit erheblichen Symptomen* fahrgeeignet nach effektiver Therapie (Medikamente, Ablation, ICD), Wartefrist 3 Monate und kardiologische Kontrolle nicht fahrgeeignet (siehe Tab. 7)
Fahreignung bei Devices (PM, ICD, CRT)
Tab. 7a
PM 1. Gruppe 2. Gruppe
PM-Implantation oder PM-Wechsel    
– mit Synkopen in der Anamnese fahrgeeignet, Wartefrist 1 Woche fahrgeeignet, Wartefrist 3 Monate und kardiologische Kontrolle.

Falls nur PM-Wechsel: Wartefrist 2 Wochen

– ohne Synkopen in der Anamnese fahrgeeignet, Wartefrist 1 Woche fahrgeeignet, Wartefrist 4 Wochen und kardiologische Kontrolle.

Falls nur PM-Wechsel: Wartefrist 2 Wochen


Fahreignung bei Devices (PM, ICD, CRT) – Teil 2
Tab. 7b
*ausser bei genetischen Hochrisikosituationen (s. ESC-Kardiomyopathie-Guidelines 2023) und in den in Tabelle 8 speziell erwähnten Erkrankungen mit anderweitigen Empfehlungen
**starker Schwindel, Präsynkope, Synkope
ICD/CRT-D 1. Gruppe 2. Gruppe
Primärprävention (ischämische/dilatative Kardiomyopathie) fahrgeeignet, Wartefrist 1 Woche nicht fahrgeeignet, ausser falls unter Therapie eine anhaltende (im Allgmeinen > 6 Monate) Verbesserung der LVEF auf >50% dokumentiert ist und der Defibrillator-Teil deaktiviert wird*
Sekundärprävention fahrgeeignet, Wartefrist 3 Monate nicht fahrgeeignet
Nach einmaligem, adäquatem Schock fahrgeeignet, Wartefrist 3 Monate nicht fahrgeeignet
ATP einer Kammertachykardie oder Kammertachykardie unterhalb der Therapiezone    
– mit erheblichen Symptomen** fahrgeeignet, Wartefrist 3 Monate nicht fahrgeeignet
– ohne erhebliche Symptome** fahrgeeignet nicht fahrgeeignet
Nach inadäquatem Schock fahrgeeignet nach Beseitigung der zugrundeliegenden Ursache nicht fahrgeeignet
Nach Aggregatswechsel fahrgeeignet, Wartefrist 1 Woche nicht fahrgeeignet
Nach Sondenwechsel fahrgeeignet, Wartefrist 1 Woche nicht fahrgeeignet
Verweigerung eines ICD    
– primärpräventiv fahrgeeignet nicht fahrgeeignet
– sekundärpräventiv fahrgeeignet, Wartefrist 7 Monate nach letztmaliger ventrikulärer Arrhythmie nicht fahrgeeignet
Life Vest nicht fahrgeeignet nicht fahrgeeignet

Fahreignung bei weiteren kardiovaskulären Erkrankungen
Tab. 8
  1. Gruppe 2. Gruppe
Herzklappenerkrankungen
(exklusive Aortenstenose)
   
– asymptomatisch fahrgeeignet fahrgeeignet, falls LVEF > 35% und keine schwere Mitralstenose
– symptomatisch Beurteilung gemäss Tab. 2 fahrgeeignet, falls NYHA I oder II, LVEF > 35% und keine schwere Mitralstenose
– nach Herzklappenoperation fahrgeeignet nach erfolgreicher Rekonvaleszenz fahrgeeignet, falls NYHA I oder II und LVEF > 35%, Wartezeit 3 Monate
Aortenstenose
(aortal, subaortal, supraaortal)
   
– asymptomatisch fahrgeeignet fahrgeeignet, falls leichte bis mittelschwere Stenose, regelmässige (jährliche) Reevaluation
– symptomatisch nicht fahrgeeignet nicht fahrgeeignet
– nach Herzklappenoperation fahrgeeignet nach erfolgreicher Rekonvaleszenz fahrgeeignet, falls NYHA I oder II und LVEF > 35%, Wartezeit 3 Monate
Kongenitale Herzerkrankungen (GUCH)    
– asymptomatisch fahrgeeignet Beurteilung gem. Tabellen 1, 2, 4, 5, 6 und 7
– symptomatisch Einzelfallbeurteilung  Einzelfallbeurteilung
Hypertrophe Kardiomyopathien Beurteilung gemäss Tabelle 1, 2, 6 und 7 Beurteilung gemäss Tabelle 1, 2, 6 und 7 

nicht fahrgeeignet, falls gemäss HCM-Risk Score ICD-Implantation empfohlen

Arrhythmogene rechtsventrikuläre Kardiomyopathie (ARVC)  Beurteilung gemäss Tabelle 2, 6 und 7 Beurteilung gemäss Tabelle 2, 6 und 7
Kardiale Sarkoidose Beurteilung gemäss Tabelle 2, 4, 6 und 7 Beurteilung gemäss Tabelle 2, 4, 6 und 7
Kardiale Amyloidose und weitere Speichererkrankungen Beurteilung gemäss Tabelle 2, 6 und 7 Beurteilung gemäss Tabelle 2, 6 und 7
Angeborenes Long-QT-Syndrom

Brugada-Syndrom

fahrgeeignet

falls ICD-Indikation: siehe Tab. 7

Einzelfallbeurteilung

nicht fahrgeeignet, falls ICD-Indikation

Arterielle Hypertonie fahrgeeignet, falls keine zerebrale Symptomatik oder Sehstörungen (maligne Hypertonie) vorliegen fahrgeeignet, falls systolische Blutdruckwerte < 180 mmHg oder diastolische Blutdruckwerte < 110 mmHg unter Therapie und keine zerebrale Symptomatik oder Sehstörungen (maligne Hypertonie) vorliegen
Pulmonale Hypertonie fahrgeeignet, falls NYHA I-III fahrgeeignet, falls NYHA I-II und keine Dauersauerstofftherapie
Thorakales Aortenaneurysma fahrgeeignet, falls Diameter ≤ 6.5 cm (bikuspide Aortenklappe/Marfansyndrom; Einzelfallbeurteilung) fahrgeeignet, falls Diameter ≤ 5.5 cm (bikuspide Aortenklappe/Marfansyndrom; Einzelfallbeurteilung)

Quelle/Link

 

 

Dr. Marc Buser
Prof. Dr. Peter Ammann

Lizenz

Kardiovaskuläres Manual 2025 Copyright © STO und Autorenteam Kantonsspital St.Gallen. Alle Rechte vorbehalten.

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