Erhöhter Blutdruck und Hypertonie
Definition, Klassifikation und Diagnose
Man unterscheidet 3 Kategorien: Nicht erhöhter Blutdruck, erhöhter Blutdruck und Hypertonie (Abb. 1):

Ein erhöhter Blutdruck mit erhöhtem kardiovaskulären Risiko und eine Hypertonie in einer Screening-Untersuchung müssen durch eine Bestätigungsmessung (vorzugsweise Out-of-Office Blutdruckmessung, OOBDM) gesichert werden. Bei einem Screening-BD von 160-179 mmHg systolisch resp. 100-109 mmHg diastolisch ist eine Bestätigungsmessung innerhalb eines Monats empfohlen.
Sonderfälle
- Weisskittelhypertonie (erhöhter Blutdruck nur in der Praxis) und maskierte Hypertonie (erhöhter Blutdruck nur ausserhalb der Praxis) erfordern definitionsgemäss eine OOBDM
- Hypertensiver Notfall/Dringlichkeit: ein BD ≥ 180/110 mmHg erfordert die Abklärung hinsichtlich eines hypertensiven Notfalls (Endorganschäden) und eine sofortige pharmakologische Therapieeinleitung
Ursache der arteriellen Hypertonie
Primäre (essentielle) Hypertonie (keine Ursache fassbar) |
92–96% |
Sekundäre Hypertonieformen
Renal-parenchymatös Renovaskulär Endokrin Alle anderen |
4–8% 3–5% 0.5–1% 0.5–1% < 0.5% |
Heilbare Hypertonieformen | 1–2% |
Blutdruckmessung
Praxis-Blutdruckmessung (Office Blutdruckmessung, OBDM)
- Bequem sitzend nach ≥ 5 Minuten Ruhe messen; 30 Min. vor Messung kein Nikotin, Kaffee oder Sport
- Validierte Blutdruckmessgeräte mit richtiger Manschettengrösse
- Drei Messungen im Abstand von 1-2 Min. (zusätzliche Messungen bei Abweichen der ersten beiden Messungen um > 10 mmHg). Der Blutdruck wird als Durchschnitt der letzten beiden Messungen aufgezeichnet
- Stehend (nach 1 und 3 Min., orthostatische Hypotonie ausschliessen)
- Erstuntersuchung: an beiden Armen messen (Seitendifferenz ausschliessen)
- Pulspalpation mit der Frage nach Arrhythmie (Vorhofflimmern tritt bei Hypertonie gehäuft auf)
Out-of-Office Blutdruckmessung (OOBDM)
Heimblutdruckmessung (HBDM)
- Validiertes Blutdruckmessgerät verwenden, Oberarmmanschette gegenüber Handgelenkmessgeräten bevorzugt
- Vor jeder Messung 5-minütige Ruheperiode, ruhiges Zimmer, Arm mit der Manschette unterstützt und Rücken angelehnt
- Jede Messung beinhaltet zwei Messungen im Abstand von einer Minute
- Messung zweimal täglich: morgens (bevor Tabletteneinnahme) und abends
- mindestens 3 bis idealerweise 7 Tage hintereinander
Ambulante Blutruckmessung (ABDM)
Die ABDM erfasst eine 24-stündige Periode und schliesst die prognostisch wichtigen Blutdruckwerte in der Nacht mit ein. Sie erlaubt als einziges Verfahren die Beurteilung des nächtlichen Dippings. Wichtig ist bei der Interpretation einer ABDM die Beurteilung der Messqualität (≥ 70% der Messungen müssen brauchbar sein, genügend Nachtmessungen).
Anamnese
- Blutdruck- und Gewichtsverlauf; bei Frauen: Hypertonie in der Schwangerschaft/Präeklampsie?
- Kardiovaskuläre Risikofaktoren inkl. Risiko-modifizierende Lebensstil-Faktoren (Rauchen, Alkoholkonsum, körperliche Aktivität/Sport, Essgewohnheiten/Salzkonsum, «Stress», Lärm-/Zeitbelastung)
- Etablierte kardiovaskuläre oder Nierenkrankheit oder Hinweise hierauf: Angina pectoris, Claudicatio intermittens, Herzinsuffizienz-Symptome, Durst, Polyurie etc.
- Bereits versuchte Antihypertensiva/Unverträglichkeiten von Antihypertensiva
- «Pressorische» Medikamente und Substanzen: Ovulationshemmer, NSAR, Steroide, Cyclosporin, Sympathomimetika, Nasentropfen, Erythropoetin, Anabolika, trizyklische Antidepressiva, Onkologika (Tyrosinkinasehemmer, VEGF-Blocker, Aromatase-Inhibitoren, SERMs, m-TOR-Inhibitoren), Kokain, Lakritze, Süssholztee
- Hinweise auf sekundäre Hypertonieformen: Schnarchen/Tagesmüdigkeit, Palpitationen, Kopfschmerzen, Muskelkrämpfe etc.
- Familienanamnese: Hypertonie, Diabetes mellitus, Hyperlipidämie, Adipositas, Nierenerkrankungen, Koronare Herzkrankheit, zerebrovaskuläre Erkrankungen, peripher arterielle Verschlusskrankheit
Klinische Untersuchung
- Grösse, Gewicht, BMI
- Bauch- und Hüftumfang (stehend)
- Augenfundus (bei Vd. a. maligne Hypertonie oder bei zusätzlichem Diabetes mellitus)
- Schilddrüsenpalpation
- Pulsstatus und Gefäss- und Herzauskultation (Strömungsgeräusche? Hinweise für Aortenisthmusstenose?)
- Abdominalpalpation (aortale Pulsationen? Vergrösserung der Nieren?)
- Hinweise auf sekundäre Hypertonie: Café-au-lait Flecken (Phäochromozytom), Zeichen für Cushing, Akromegalie oder Schilddrüsenfunktionsstörung
Laboruntersuchungen
Basisdiagnostik
Blut
- Blutbild (Polyzythämia vera?)
- Kalium (1º/2º Hyperaldosteronismus, Diuretika?)
- Kalzium (Hyperparathyreoidismus?)
- Kreatinin (Niereninsuffizienz?)
- Glukose (nüchtern) und HbA1c (Metabolisches Syndrom, Diabetes mellitus?)
- Triglyzeride (nüchtern), Gesamtcholesterin, LDL- und HDL-Cholesterin, evtl. einmalig Lp(a)
- Harnsäure
Urin
- Status und Sediment
- Mikroalbuminurie (Spoturin: mg Albumin/mmol Kreatinin ≥ 3.4)
12-Ableitungs-EKG
- Hinweise auf linksventrikuläre Hypertrophie (LVH)?
Erweiterte Diagnostik
Die Untersuchungsmodalitäten der erweiterten Diagnostik dienen zur Erfassung von kardiovaskulären, Hypertonie-bedingten Endorganschäden und/oder sekundären Hypertonieformen. Die Härte der Indikation hängt vom klinischen Kontext ab.
- Echokardiografie
- Gold-Standard für die Diagnose der LVH, Erfassung einer diastolischen/systolischen LV-Dysfunktion, Ausschluss Aortenisthmusstenose
- Klare Indikation bei Vd. a. LVH im EKG sowie klinischen Hinweisen auf eine kardiale Auffälligkeit
- Koronar-CT (Koronarkalk?)
- Pulswellengeschwindigkeit
- Hochsensitives Troponin, NT-proBNP
- Ankle-brachial Index
- Abdominaler Ultraschall (Aortenaneurysma?)
- Fundoskopie: klare Indikation bei hypertensiver Entgleisung oder bei Hypertonie und Diabetes mellitus
Diese Zusatzuntersuchungen sind v.a. bei erhöhtem Blutdruck im Hinblick auf die Therapieindikation sinnvoll. Ausserdem können sie zu einer besseren Medikamentencompliance bei therapierter Hypertonie beitragen. Einen weiteren Stellenwert haben sie bei jungen (< 40 Jahre) Personen, da bei diesen die Risikostratifizierung mittels SCORE2 nicht validiert ist.
Abklärungen bei Verdacht auf sekundäre Hypertonie
Nierenerkrankung
- Serum-Kreatinin, Kreatinin-Clearance resp. eGFR
- Urinsediment, (Mikro-)Albuminurie/Proteinurie
- Nierensonografie in ausgewählten Fällen
Renovaskuläre Hypertonie
Dopplersonografie Nierenarterien oder andere Bildgebung bei
- Schwerer oder schwer einstellbarer Hypertonie
- Kreatinin-Anstieg (> ca. 30%) unter ACE-Hemmern oder Angiotensin-Rezeptor-Blockern
- Abdominellem Strömungsgeräusch, generalisierter Arteriosklerose, akutem Lungenödem
Primärer Hyperaldosteronismus*
Aldosteron-Renin-Ratio (ARR) bei
- Schwerer oder schwer einstellbarer Hypertonie oder
- Begleitender Hypokaliämie
- Cave: eingeschränkte Aussagekraft unter Antihypertensiva (ausser Kalziumantagonisten und Alpha-Blockern) und/oder Hypokaliämie
- Präanalytik: ca. 2 Stunden nach dem Aufstehen, sitzend nach einer 15 minütigen Ruhepause direktes Renin und Aldosteron bestimmen
- ARR > 50 pmol/l/mU/l (Wert gilt nur fürs KSSG/ZLM) pathologisch: Ein Bestätigungstest sollte erwogen werden
- Inzidentalom
Phäochromozytom*
Bei Kopfschmerzen, Schwitzen und Herzklopfen, Inzidentalom
- Plasma-Metanephrin und -Normetanephrin (Abnahme nüchtern, nach 15-30 Liegen, Probe auf Eis)
Hyper-/Hypothyreose
TSH bei Symptomen, die mit einer Hypo- oder Hyperthyreose vereinbar sind
Cushing*
Bei Mondgesicht, Rubeosis faciei, Striae rubrae, Stammfettsucht, easy bruising usw., ggf. auch im Rahmen Inzidentalomabklärung
-
- Mitternachts-Speichelcortisol
- Freies Cortisol im 24h-Urin
- Dexamethason-Hemmtest
* Allenfalls spezialärztliche Abklärung
Risikostratifizierung
Der Risikostratifizierung kommt insbesondere beim erhöhten Blutdruck (120-139/70-89 mmHg) eine entscheidende Funktion zu, da diese die Indikation zur pharmakologischen Therapie beeinflusst. Folgende Bedingungen rechtfertigen den Beginn einer pharmakologischen Therapie in der Klasse des erhöhten Blutdrucks:
- Etablierte klinische kardiovaskuläre Erkrankung (KHK, cerebrovaskuläre Erkrankung, periphere arterielle Verschlusskrankheit, Herzinsuffizienz)
- Moderate oder schwere Niereninsuffizienz (eGFR < 60 ml/min/1.73 m2 oder Albuminurie ≥ 30mg/g bzw. ≥ 3mg/mmol)
- Andere Hypertonie-bedingte Endorganschäden
- Diabetes mellitus (SCORE2-Diabetes sollte berechnet werden, um Patientinnen und Patienten mit tieferem Risiko (< 10% 10-Jahres-Risiko) zu identifizieren, da diese keine BD-senkende Therapie brauchen, insbesondere < 60 Jahre)
- Familiäre Hypercholesterinämie
Ohne die oben genannten Risikomerkmale soll bei Personen mit erhöhtem Blutdruck der SCORE2 resp. SCORE2-OP (≥ 70 Jahre) berechnet werden. Ein Risiko > 10% stellt eine Indikation zur pharmakologischen Therapie dar, falls Lifestyle-Massnahmen für drei Monate nicht erfolgreich sind.
Im Falle von grenzwertigem kardiovaskulären Risiko (SCORE2 resp. SCORE2-OP 5%-10%) sollten Risikomodifikatoren (geschlechtsspezifische Risikomodifikatoren wie Präeklampsie, Gestationsdiabetes und -hypertonie, Frühgeburt vor der 37. SSW, Fehlgeburten, Totgeburt und andere wie Ethnizität, pos. FA bezüglich vorzeitiger kardiovaskulärer Ereignisse, autoimmuninflammatorische Erkrankungen, HIV etc.) in die Risikostratifizierung mit einfliessen. Diese erlauben ggf. eine Up-Klassifizierung und somit Indikation zur Therapie. Es ergibt sich also in der Gruppe des erhöhten Blutdrucks folgender Behandlungsalgorithmus:

Behandlung
Änderung des Lebensstils («lifestyle modifications»)
- Tabakabstinenz
- Alkohol meiden (max. 100 g purer Alkohol/Woche; Bsp.: 1 Glas Rotwein 15.5 g reiner Alkohol; 500 ml Bier 20 g reiner Alkohol)
- Ernährung «salzarm», ggf. bei normaler Nierenfunktion kaliumreiche Ernährung, reich an Früchten und Gemüse; DASH Diät
- Gewichtskontrolle/-reduktion. Ziel: BMI 20-25 kg/m2, Taillenumfang < 94 cm bei Männern und < 80 cm bei Frauen
- Regelmässiges aerobes Training: Marschieren, Joggen, Velofahren, Schwimmen, Langlaufen usw. (mind. 30 Min. an 5–7 Tagen/Woche)
→ Diese Massnahmen begleiten jede Pharmakotherapie. Sie sind ausserdem indiziert bei Personen mit erhöhtem Blutdruck und tiefem Risiko, bei denen (noch) keine Indikation zur Pharmakotherapie besteht.
Pharmakotherapie
Interventionsschwelle für eine medikamentöse Behandlung
≥ 140/≥ 90 mmHg: prompter Beginn einer pharmakologischen Therapie, begleitend dazu Lebensstil-Änderung
≥ 130/≥ 80 mmHg mit Risikomerkmalen: Beginn einer pharmakologischen Therapie, falls Lebensstil-Modifikationen nicht zur Blutdrucksenkung unter diesen Schwellenwert geführt haben. Diese Indikation ergibt sich nur, falls keine symptomatische orthostatische Hypotonie, Alter ≥ 85 Jahre, eine klinisch relevante Gebrechlichkeit oder eine reduzierte Lebenserwartung (< 3 Jahre) vorliegen.
Die medikamentöse Therapie sollte zeitlich unlimitiert (auch im Alter > 85 Jahre) weiter geführt werden, falls sie gut toleriert wird.
Zielblutdruck
Generell: 120-129/70-79 mmHg, falls toleriert (vorzugsweise unteres Ende dieses Bandes anstreben; gilt sowohl für Praxis- als auch OOBDM)
- Falls diese Zielwerte nicht toleriert werden, soll der niedrigste noch tolerierte Blutdruckwert angestrebt werden.
- Bei einer symptomatischen orthostatischen Hypotonie, Alter ≥ 85 Jahre, klinisch signifikanter Gebrechlichkeit oder eingeschränkter Lebenserwartung sollen höhere Zielwerte (z.B. < 140/90 mmHg) in Betracht gezogen werden.
Wahl der Medikamente
Die wichtigen Medikamentenklassen mit solider Evidenz für eine Risikoreduktion von kardiovaskulären Ereignissen sind ACE-Hemmer, Angiotensinrezeptor-Blocker, Dihydropyridin Kalziumkanal-Blocker, Diuretika (Thiazide und Thiazid-ähnliche Diuretika) und Betablocker. Betablocker sollen als First-line- Therapie vorzugsweise bei bestimmten Begleiterkrankungen (Angina pectoris, Herzinsuffizienz, nach Myokardinfarkt, Vorhofflimmern) eingesetzt werden.
Um die Adhärenz zu fördern und Nebenwirkungen zu minimieren, sind vorzugsweise Kombinationstherapien (ausser in der Gruppe des erhöhten Blutdrucks oder bei («frailty») anzustreben (single-pill).
Monitoring
Bei Patientinnen und Patienten mit kontrollierter Hypertonie unter einer stabilen Therapie sollen jährliche Kontrollen des Blutdrucks und der kardiovaskulären Risikofaktoren erfolgen.
Hypertensive Krise
Hypertensive Gefahrensituation (urgency)
- Exzessive BD-Erhöhung ohne oder mit geringen Symptomen (Epistaxis, Schwindel, Kopfschmerzen), aber ohne akuten Endorganschaden
- Häufig bei bekannten Hypertonikerinnen oder Hypertonikern. Wenn Neudiagnose: an sekundäre Hypertonieformen denken!
- Auslösende Faktoren eruieren und wenn möglich korrigieren z.B. Schmerz, psychischer «Stress» oder Panik, Medikamenten-Malcompliance, Substanzkonsum (Metamphetamine, Kokain) etc.
→ BD-Senkung innert weniger Tage, meist po und ambulant möglich. Ausbau und Wahl der Medikamente entsprechend den oben dargestellten therapeutischen Algorithmen.
Hypertensiver Notfall (emergency)
Exzessive BD-Erhöhung mit Symptomen (z.B. Thoraxschmerzen, Dyspnoe, neurologischem Defizit) und/oder akutem Endorganschaden:
- Zerebraler Infarkt, intrazerebrale oder subarachnoidale Blutung
- Hypertensive Enzephalopathie (Kopfschmerzen, Verwirrung, Sehstörung, Krampfanfall, Bewusstseinsstörung bis Koma)
- Lungenödem
- Akutes Koronarsyndrom
- Aortendissektion
- Fundusblutungen, Papillenödem
- Präeklampsie, Eklampsie
- Blutdruck in der Schwangerschaft ≥ 160/110 mmHg
→ Notfallmässige Hospitalisation! Blutdruckziel und Wahl der Medikation (meist intravenös) gemäss dem Endorganschaden.
Cave: zu schnelle oder zu exzessive BD-Senkung mit der Gefahr von Hypoperfusion (zerebral, koronar, renal)!
Quelle/Link
- McEvoy JW et al; ESC Scientific Document Group. 2024 ESC Guidelines for the management of elevated blood pressure and hypertension. Eur Heart J. 2024 Oct 7;45(38):3912-4018. doi.org/10.1093/eurheartj/ehae178
Dr. Dr. Roman Brenner
Dr. Carola Ehl