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Erziehung oder Menschenbildung ist für Natorp Willensbildung, Unterstützung des Wachstums und der Entwicklung mitgebrachter Anlagen zu einer gewissen Höhe. Erziehung ist das Instrument, um den Fortschritt in der Gemeinschaft zu bewirken. Wenn man von Erziehung spricht, so spricht man nach Natorp eigentlich von der Entwicklung des Menschlichen im Menschen. Das Erziehungsprinzip gilt sowohl für den Einzelnen als auch für die Gemeinschaft. Das Individuum und die Gemeinschaft sind wandelbar und der Entwicklung unterworfen.
Die entscheidenden Bedingungen der Erziehung liegen für Natorp in der Gemeinschaft, die entscheidenden Bedingungen der Gemeinschaft in der Erziehung.
Soziale Organisationen zur Willensentwicklung und Willenserziehung sind nach Natorp das Haus (d.h. die Familie), die Schule und die freie Selbsterziehung im Gemeinleben der Erwachsenen. Formen der Erziehung sind Übung und Lehre. Unterricht muss für Natorp erziehender Unterricht sein. (Ernst Engelke, 2009, S. 159-162)
Zentral war Natorps Forderung nach einer Entkonfessionalisierung der Schule und der Befreiung der Schüler vom Bekenntniszwang. Des weiteren wollte er Schule und Lehrplan befreien von manipulatorischen, auf die Befestigung der eigenen Herrschaft zielenden Eingriffen der amtierenden Staatsmacht. (Briesner Harmut, 2008, S. 12)
Eine weitere zentrale Forderung Natorps war eine neue Einstellung seitens der Erwachsenen zu Kindheit und Jugend. Dies bedeutete eine genossenschaftliche Umgestaltung des Erziehungs- und Bildungswesens. Dabei ging es Natorp um die Weckung der Bereitschaft, die grundsätzliche Gleichwertigkeit aller Lebensalter anzuerkennen, sowie um die Entdeckung der Chance, auch und gerade von Heranwachsenden lernen zu können. Es geht Natorp um die Anerkennung des Selbstwertes und der Selbstständigkeit von Kindheit und Jugend. (Briesner Harmut, 2008, S. 33/34)
An die Forderung der Anerkennung und Achtung des Heranwachsenden als Subjekt der Erziehung knüpft sich die Forderung der Anerkennung und Achtung des einfachen Familienlebens als der grundlegenden und primären Instanz von Erziehung. (Briesner Harmut, 2008, S. 34)
Da jedoch die intakte Familie real nur noch in der Minderheit existierte, musste dafür Ersatz geschaffen werden. Hier liegt für Natorp Sinn und Aufgabe des Kindergartens. Doch ist die Kindergartenerziehung für Natorp eine bloße „Nothilfe“, höchst unbefriedigend, weil sie das Kind aus der natürlichen Familie herausnimmt.
Natorp unterscheidet drei Phasen der Erziehung. Die erste Phase ist die Familienerziehung oder auch häusliche Erziehung genannt. Die zweite Phase ist die schulische Erziehung und nachfolgend noch die Erwachsenendbildung.
Primärer Gegenstand der häuslichen Erziehung ist also die Regelung des Trieblebens, der schulischen Erziehung die Bildung des Willens im engeren Sinne und der Erwachsenenbildung die Entfaltung des Vernunftvermögens bzw. die Befreiung der Schöpferkraft. Die einzelnen Phasen stehen dabei in einem gegenseitigen Ergänzungsverhältnis. (Briesner Harmut, 2008, S. 35)