Impulse für die Post-COVID-Wirtschaft

Florian Lüdeke-Freund und Tobias Froese

Foto: Arseny Togulev auf Unsplash

Die Welt steckt in einer noch nie dagewesenen Krise: Die Corona-Pandemie verändert die wirtschaftliche Dynamik und stellt die Resilienz von Unternehmen auf die Probe. Innovation oder sogar Transformation ist für viele überlebenswichtig. Damit ist die Tür zu neuen Ansätzen des Wirtschaftens aufgestoßen – eine Chance für besseres, nachhaltigeres Wirtschaften.

Eine ökologisch nachhaltige und sozial gerechte Wirtschaft baut auf Organisationen und Netzwerken auf, die Werte für und mit ihren Stakeholdern schaffen und zugleich ihre Umwelt schützen. Dazu müssen ihre Geschäftsmodelle den Prinzipien einer nachhaltigen Entwicklung folgen, ökologische Einwirkungen reduzieren und dabei gleichzeitig sozio-ökonomischen Fortschritt ermöglichen. Eine klassische – jedoch wenig beachtete – Nachhaltigkeitsstrategie ist Suffizienz. Deren Ziel ist, dass materieller Über- und Unterkonsum vermieden wird, um die Lebensqualität zu verbessern und gleichzeitig Rebound-Effekte auf die Umwelt zu vermeiden.

In diesem Zusammenhang wird auch der Begriff Degrowth viel diskutiert. Unsere These: Ansätze des Degrowth können nachhaltige Geschäftsmodelle inspirieren – und die durch die Pandemie verursachten wirtschaftlichen (Um-)Brüche können neue Innovationsräume eröffnen.

Degrowth ist ein transformatives Streben nach einer sozio-ökonomisch gerechten Gesellschaft und nach pluralen Wirtschaftsweisen, die die planetaren Grenzen respektieren. Die wirtschaftliche Aktivität folgt einer Bedarfsorientierung – also Bedarfsdeckung statt Wachstum als Selbstzweck. Die Degrowth-Forschung hebt hervor, dass Aktivitäten wie das Teilen oder Reparieren, die Selbstversorgung oder unbezahlte familiäre Pflege zu unserer Wirtschaft gehören. Diese Vielfalt jenseits von rein monetären und reziproken Transaktionen zu begreifen und wertzuschätzen bietet Lösungsansätze für dringende Herausforderungen der Nachhaltigkeit. Bleibt die Frage, wie sich das Wissen über entsprechende Geschäftsmodelle erfassen und teilen lässt.

Blaupausen für nachhaltiges Wirtschaften

Nachhaltige Geschäftsmodellinnovation mittels Geschäftsmodellmustern (engl. business model patterns) bietet einen Weg, dies zu erreichen. Der Ansatz dahinter: Nachhaltige Geschäftsmodellinnovation verbessert die Fähigkeit eines Unternehmens, natürliches, soziales und ökonomisches Kapital über seine organisatorischen Grenzen hinaus zu schaffen, zu erhalten oder zu regenerieren. Dies geschieht, indem Wertangebote für Kunden und andere Stakeholder und/oder die gesamte Art und Weise der unternehmerischen Wertschöpfung unter der Prämisse von Nachhaltigkeitsstrategien – wie Suffizienz – neu entwickelt oder angepasst werden.

Dabei dienen Geschäftsmodellmuster als „Blaupausen“. Sie erfassen das Wissen aus Best-Practice-Lösungen systematisch und inspirieren andere zum Nach- und Mitmachen. Ein bekanntes Muster ist „Freemium“: Ein kostenloses Basisangebot wird mit einem kostenpflichtigen Premiumangebot verbunden, wie beispielsweise beim Streaming-Dienst Spotify. Das Nachhaltigkeitspendant sind ökologische oder soziale Freemium-Modelle, die unterschiedlich zahlungskräftigen Zielgruppen Zugang zu benötigten Gütern verschaffen.

Community Prosumers als Teil eines nachhaltigen Geschäftsmodells

Ein konkretes Beispiel ist die „Community Prosumption“. In der Forschung zu Degrowth stellen Bloemmen und andere eine Form von gemeinschaftlich betriebener Landwirtschaft vor, die diesem Muster entspricht. Das Geschäftsmodellmuster steht dabei in einem sozioökonomischen Kontext, in dem Bürger üblicherweise als bloße Konsumenten betrachtet werden, die das konsumieren, was Unternehmen produzieren. Vermittler wie Supermarktketten stehen zwischen ihnen. Das Problem: Diese Form der wirtschaftlichen Beziehung vermittelt kaum nicht-materielle und nicht-monetäre Formen der Wertschöpfung. Konsumenten werden von den Produktionsbedingungen entkoppelt. Produzenten stehen zudem in hartem Wettbewerb und sind anfälliger, zum Beispiel in Trockenzeiten.

Eine mögliche Lösung wäre, das Risiko mit Menschen vor Ort zu teilen: Sie zahlen einen festen jährlichen Betrag, unabhängig davon, wie erfolgreich die Produktion ist. Darüber hinaus beteiligen sie sich an landwirtschaftlichen Arbeiten, knüpfen Beziehungen, lernen miteinander Neues und verbringen einen Teil ihrer Freizeit im Grünen. Die wirtschaftlichen Beziehungen werden diversifiziert, der monetäre Austausch wird, bis zu einem gewissen Punkt, depriorisiert. Aus Konsumenten werden „Community Prosumers“.

Kein Zurück zum „business as usual“

Inzwischen hat sich eine breite Wissensbasis über nachhaltige Geschäftsmodellmuster etabliert. Sie ist eine Inspirationsquelle und dient als Werkzeug für die Entwicklung besserer Geschäftsmodelle für die Zeit nach der Krise. Davon abgesehen können diese Muster bestärkend wirken, denn sie machen Expertenwissen auch für Laien zugänglich. So kann die Entwicklung von Geschäftsmodellen demokratischer und offener werden. Das Sammeln, Diskutieren und Teilen von Wissen kann außerdem dazu beitragen, unsere Wirtschaft gerechter, vielfältiger und resilienter zu machen.

Die Coronavirus-Pandemie wirft einmal mehr kritische Fragen darüber auf, wie wir kollektiv Krisen bewältigen und welche Richtung wir einschlagen möchten. Regierungen, Bildungseinrichtungen, Berater, Unternehmen und weitere gestaltende Akteure sollten darüber nachdenken, wie Volkswirtschaften und Unternehmen nach der Krise aussehen sollen – und ob wir von jenen lernen können, die bereits mit alternativen Geschäftsmodellen experimentieren. Das nötige Wissen ist verfügbar. Es muss nun in Anwendung gebracht werden.

Prof. Dr. Florian Lüdeke-Freund
ist Professor für Corporate Sustainability an der ESCP Business School Berlin.

Tobias Froese
ist Doktorand an der ESCP Business School in Berlin.

Der Artikel basiert auf dem Impulspapier der Autoren „Unlocking sustainable business model innovation for a post-crisis economy“. [https://academ.escpeurope.eu/pub/IP%202020-31-EN.pdf] Der Text war Teil der Serie „Managing a Post-Covid19 Era“ der ESCP Business School.

Siehe auch den Artikel von Lüdeke-Freund, F., Carroux, S., Joyce, A., Massa, L., & Breuer, H. (2018). The sustainable business model pattern taxonomy—45 patterns to support sustainability-oriented business model innovation. Sustainable Production and Consumption, 15, 145–162. [https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S2352550918300782]


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