Zeitarbeit

Thomas Feldhaus

Foto: Remy Gieling auf Unsplash

Wenn von der Zukunft der Arbeit die Rede ist, dann sind damit meist Themen wie Vereinbarkeit von Beruf und Freizeit, neue Organisationsformen, Teilhabe sowie Diversität und Digitalisierung verbunden. New Work verspricht eine schöne neue Arbeitswelt, in der vor allem die persönliche Entfaltung und Wertschätzung im Mittelpunkt steht. Auf der anderen Seite existieren prekäre Arbeitsverhältnisse, in denen die Betroffenen kaum von ihrer Arbeit leben können. In diesem Spannungsfeld sucht die Zeitarbeitsbranche nach einer Strategie für die Zukunft.

Mittwoch, der 17. Juni 2020, war ein Tag, an den man sich nicht nur in Rheda-Wiedenbrück noch lange erinnern wird und der Auslöser für eine erneute Debatte um bestimmte Formen ausbeuterischer Arbeit war. In einem Schlachthof der Firma Tönnies wurde der bis dahin europaweit größte Ausbruch von Infektionen mit dem neuartigen Corona-Virus festgestellt. Bei vier von fünf der zuerst getesteten Mitarbeitern war der Befund positiv. Der Schlachthof musste sofort seine Arbeit einstellen und die gesamte Belegschaft testen lassen. Am Ende hatten sich 1413 Menschen mit dem Covid-19-Virus infiziert und wurden in Quarantäne geschickt. Ein Auslöser für diesen Corona-Hotspot war die Umluft-Kühlanlage, die für eine ungehinderte Verbreitung der Viren sorgte. In den kommenden Wochen und Monaten traten immer neue Fälle in Schlachthöfen auf, nicht nur bei Tönnies in Rheda-Wiedenbrück, sondern in ganz Europa. Schlachthöfe so umzubauen, dass sie kein Ort ungehinderter Ausbreitung von Krankheitserregern sind, war eine der ersten Aufgaben, denen sich Betreiber und Politik stellen mussten. Doch die eigentlichen Herausforderungen lagen woanders.

Ausbeuterische Formen der Beschäftigung in vielen Bereichen

Die Vorfälle in den Schlachthöfen haben ein Schlaglicht auf Beschäftigungsformen geworfen, die in Europa weit verbreitet und zudem für unser wirtschaftliches und gesellschaftliches Zusammenleben von großer Bedeutung sind. Schlachthöfe sind nur ein Beispiel für ausbeuterische Formen der Arbeit, die auch in anderen Bereichen der Landwirtschaft zu finden sind – und überall dort, wo wichtige Arbeit gemacht wird, aber nur geringe Löhne gezahlt werden.

Wirklich überraschend waren diese Ereignisse nicht. Schon lange sind problematische Beschäftigungsformen in zahlreichen Wirtschaftszweigen bekannt. Aber frei nach Bertholds Brechts Zitat aus der Dreigroschenoper „…die im Dunkeln sieht man nicht“, fehlte der politische Wille daran etwas zu ändern. Ausbeutbare Arbeitsbedingungen, überfüllte Unterkünfte, Arbeitstage, die bis zu 16 Stunden dauern und dennoch nur zu niedrigen Löhnen führen und durch illegale Lohnabzüge noch weiter reduziert werden, sind nur einige Ungerechtigkeiten, die der Europäischer Verband der Landwirtschafts-, Lebensmittel- und Tourismusgewerkschaften (EFFAT) in einem Bericht (Covid-19 outbreaks in slaughterhouses and meat processing plants) über fleischverarbeitende Betriebe in Europa aufführt. Hinzu kommen eine Perspektivlosigkeit und andauernde Arbeitsplatzunsicherheit. „Die Covid-19-Pandemie hat einem breiteren Publikum Probleme aufgedeckt, die EFFAT und seine Mitgliedsorganisationen seit vielen Jahren an die EU-Institutionen und die nationalen Regierungen richten“, sagte EFFAT-Generalsekretär Kristjan Bragason und hoffte, dass die Politik nun gewillt sei, für bessere Arbeitsbedingungen zu sorgen – mit Mindestlöhnen und Tarifverträgen. Vor allem das in Deutschland nahezu perfekt organisierte System mit Subunternehmen sei für die prekären Verhältnisse verantwortlich, und zwar über die Landesgrenzen hinaus.

Ausbeutung Made in Germany – Aber es geht auch anders

In den vergangenen Jahren hat die Politik immer wieder versucht, den Schlupflöchern der Branche zu begegnen und das Geschäft mit der Ausbeutung zu erschweren. Dazu wurde beispielsweise die Fleischindustrie in das Entsendegesetz aufgenommen, damit die Arbeiter nach den hiesigen Standards inklusive Mindestlohn beschäftigt werden mussten und nicht mehr die Bedingungen ihres Heimatlands galten. Eine freiwillige Selbstverpflichtung der Branche sollte zudem dafür sorgen, Beschäftigte nur noch nach deutschem Arbeitsrecht zu beschäftigen. 2017 sorgte das Gesetz zum Schutz der Arbeitnehmerrechte in der Fleischwirtschaft für eine weitere Verschärfung und enthielt unter anderem das Verbot, die Kosten für Arbeitsmittel vom Lohn abzuziehen; mit diesem Trick hatten die Betriebe bis dato versucht, den Mindestlohn zu umgehen. Gebracht haben diese Maßnahmen wenig, unter anderem weil sie schwer zu kontrollieren und Verantwortlichkeiten durch aneinandergereihte Subunternehmen kaum auszumachen sind. Dieses Modell „Made in Germany“ wird inzwischen europaweit kopiert und hat dadurch die Bedingungen für die Beschäftigten noch mal verschärft.

Dass es auch anders geht, zeigen beispielsweise die nordischen Länder Dänemark und Schweden, in denen die Arbeiter in der Fleischindustrie bis zu 27 Euro in der Stunde verdienen können, egal aus welchem Land sie kommen. Die Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften regeln zudem eine ordentliche Unterbringung und die Regierung sorgt für eine vollumfängliche soziale Absicherung. In Summe sind die Arbeitskosten in Dänemark mit rund 69.000 Euro fast doppelt so hoch wie in Deutschland mit weniger als 32.000 Euro. Damit hat sich Deutschland seine Rolle als bedeutender Fleischexporteur erwirtschaftet und neben Arbeitnehmerrechten auch noch den Tierschutz verkauft.

Vielleicht ist Skandinavien ein Vorbild für die deutsche Politik. Auf jeden Fall kündigte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil unmittelbar nach den Vorfällen in Rheda-Wiedenbrück an, nun endgültig in der Branche aufräumen zu wollen. Inzwischen verabschiedete der Bundestag das Arbeitsschutzkontrollgesetz und verbot darin unter anderem ab dem 1. April 2021 den Einsatz von Leiharbeitern in der Fleischindustrie grundsätzlich. Allerdings gilt in den ersten drei Jahren eine Ausnahme, um eventuelle Auftragsspitzen abfedern zu können. Dafür kann in einem Tarifvertrag der Einsatz von Leiharbeitern festgelegt werden, für die dann vom ersten Tag an der gleiche Lohn wie für die Stammbelegschaft gezahlt wird und deren Einsatz vier Monate nicht überschreiten darf. Zudem dürfen im Jahresmittel nicht mehr als acht Prozent der Belegschaft aus Leiharbeitern bestehen. Davon ausgenommen sind handwerkliche Betriebe, die nicht mehr als 49 Mitarbeiter beschäftigen.

Imageschaden mit weitreichenden Konsequenzen

Die Vorfälle rund um die fleischverarbeitende Industrie bringen eine ganze Branche in Misskredit, die seit einigen Jahren versucht, Verantwortung zu thematisieren, die Fehlentwicklungen, die nicht zuletzt durch politische Entscheidungen entstehen, zu beseitigen – und insgesamt die Rolle eines „ganz normalen Unternehmertums“ zu vermitteln. Nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit waren im Jahr 2020 durchschnittlich 781.000 Leiharbeitnehmer und Leiharbeitnehmerinnen in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Hinzu kommen noch etwa 108.000 geringfügig Beschäftigte. Damit sind rund 2,2 Prozent aller Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in Deutschland in der Zeitarbeitsbranche tätig, ein leichter Rückgang gegenüber dem Vorjahr.

Um die Herausforderungen der Branche zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die Tätigkeitsfelder und Qualifikationen der Mitarbeiter. Mit einem Anteil von 38 Prozent werden Zeitarbeitskräfte immer noch zu einem großen Teil in der Produktion eingesetzt, auch wenn dieser Bereich seit vielen Jahren rückläufig ist. Und zwar zugunsten des Dienstleistungssektors, in dem rund 34 Prozent der Kräfte eingesetzt werden. Mit 15 Prozent rangieren die sogenannten personenbezogenen Dienstleistungen, zu denen beispielsweise die Pflegeberufe zählen, auf dem dritten Platz. Deutlich abgeschlagen sind Zeitarbeitsverhältnisse im kaufmännischen Bereich und in der Informationstechnologie. Diese Verteilung korrespondiert in umgekehrter Reihenfolge mit der Qualifikation, denn der Anteil an Experten mit einem akademischen Abschluss bildet bislang die kleinste Gruppe der Zeitarbeiter.

Doch das könnte sich in Zukunft ändern, denn die fortschreitende Digitalisierung reformiert Arbeitsprozesse und damit die Anforderungen an qualifiziertes Personal. Zwar ist die klassische Arbeitnehmerüberlassung eines der wichtigsten Geschäftsfelder der Personaldienstleister und wird es erst mal bleiben, insbesondere in der Logistik und im Gesundheitswesen. Neue Geschäftsbereiche wie etwa Interimsmanagement, Projektgeschäfte und Personalvermittlung werden zukünftig eine immer größere Rolle für die etablierten Zeitarbeitsunternehmen spielen, wie eine aktuelle Lündendonk-Umfrage zeigt. Der Bedarf an flexibel einsetzbarem Personal ist hoch und setzt damit Impulse für neue Geschäftsmodelle. Dabei kommen die Unternehmen durchaus zu kreativen Lösungen, denn inzwischen ist selbst der temporäre Einsatz von Kollege Roboter im Rahmen der Zeitarbeit möglich.

Arbeitgeberattraktivität als Wettbewerbskriterium

Für die Zeitarbeitsbranche bedeuten die Trends am Arbeitsmarkt große Herausforderungen. Sie müssen auch in Zukunft marktgerechte Dienstleistungen anbieten können, um den Bedarf der Wirtschaft nach Zeitarbeitskräften zu befriedigen. Sie befinden sich aber ebenso im Wettbewerb um qualifizierte Mitarbeiter, die ihrerseits hohe Ansprüche an ihren zukünftigen Arbeitgeber stellen. Arbeitgeberattraktivität wird damit auch für Zeitarbeitsunternehmen bei der Personalakquise zum wettbewerbsentscheidenden Kriterium. Entsprechend versuchen die großen Anbieter wie Randstadt, Adecco oder Manpower, über eine CSR-Strategie ihre Attraktivität zu erhalten bzw. zu steigern. In ihren Nachhaltigkeitsberichten haben die Unternehmen folglich auch Themen, wie Qualifizierung, Diversität, Inklusion und Vereinbarkeit als wesentliche Handlungsfelder bestimmt, Themen wie sie auch im Ethik-Kodex des Branchenverbandes iGZ formuliert sind.

Dass die Branche einen relevanten gesellschaftlichen Beitrag leisten kann, hat sich bei der Integration Geflüchteter gezeigt. Oft war die Zeitarbeit der Einstieg in eine Beschäftigungsmöglichkeit und der Anfang einer beruflichen Integration durch Qualifikation und gleichberechtigter Teilhabe. Das Unternehmen Social Bee hat daraus sogar ein gemeinnütziges Zeitarbeit-Modell entwickelt und sich ganz auf die Integration spezialisiert. Es könnte eine Blaupause für andere Unternehmen sein, denn was das Münchner Startup leistet, geht weit über die eigentliche Arbeitnehmerüberlassung hinaus. Social Bee versucht den Unternehmenskunden die Integrationsleistung weitgehend abzunehmen und ihnen motivierte und qualifizierte Kandidaten vorzustellen. Dadurch werden in den Unternehmen Einstiegshindernisse abgebaut und den Geflüchteten neue Türen geöffnet. Im Idealfall finden beide Parteien auch für ein längeres Engagement zusammen. Das klappt tatsächlich in über 80 Prozent der Fälle.

Doch oft werden die positiven Aspekte der Zeitarbeit von den negativen Auswüchsen überschattet und beschädigen damit nicht nur das Image der Branche, sondern erschweren auch deren Anpassung an zukünftige Herausforderungen. Equal Payment und die Höchstüberlassungsdauer sind zwei Aspekte, die immer wieder im Fokus politischer Regulierung stehen. Sie helfen geringer qualifizierten Zeitarbeitern, blockieren aber oftmals die Möglichkeiten, Zeitarbeit für höher qualifizierte Beschäftigte interessant zu machen. So steht die Branche auch in den kommenden Jahren vor ihrer größten Aufgabe und muss ganzheitliche Geschäftsmodelle entwickeln, die den individuellen Bedürfnissen der Beschäftigten Rechnung tragen, gleichzeitig, aber wichtige gesellschaftliche und wirtschaftliche Trends aufnehmen.

Thomas Feldhaus

Thomas Feldhaus
ist freier Wirtschaftsjournalist und lebt in Norden.
feldhaus@diewirtschaftsredaktion.com


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