Bildung für nachhaltige Entwicklung

Janina Beduhn und Christina Bauer

Foto: Startup Stock Photos auf Pexels

Die Transformation zur Nachhaltigkeit benötigt eine Gesellschaft, die gemeinsam innovative Lösungen für globale Herausforderungen entwickelt. Die dafür notwendigen Kompetenzen müssen erlernt werden – schnell und möglichst breit angelegt. Die Verknüpfung digitaler Lehre mit dem Konzept der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) erleichtert den Zugang zu Bildung und befähigt Studierende zur Gestaltung von politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen. Die Integration von Künstlicher Intelligenz (KI) in die digitale Lehre bietet überdies neue Möglichkeiten bei der Vermittlung von Kompetenzen.

Die Erkenntnis, dass die Menschheit bereits weit außerhalb der planetaren Grenzen wirtschaftet und Konsequenzen dessen unmittelbar spürbar sind (Steffen et al. 2015), stellt die Forderung nach einer gesellschaftlichen Transformation im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung in den Fokus der politischen Diskussion (WBGU 2011). Transformation zur Nachhaltigkeit steht dabei für einen gerichteten und gewollten gesellschaftlichen Wandel. Politik, Hochschulen, Unternehmen, und alle Bürgerinnen und Bürger sind aufgerufen Teil des Transformationsprozesses zu werden und müssen ihren Beitrag leisten.

Die Agenda 2030 der Vereinten Nationen setzt dazu klare Ziele in Form der Sustainable Development Goals (SDGs) (UNSD 2021). Das Konzept der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) spielt bei der Erreichung der SDGs, im Besonderen des SDG 4 „Hochwertige Bildung“, eine entscheidende Rolle.

BNE zur Lösung von Nachhaltigkeitsproblemen

BNE ist eine inhaltliche Querschnittsaufgabe, die sowohl Wissensvermittlung in nachhaltigkeitsrelevanten Disziplinen umfasst, als auch die Vermittlung von Kompetenzen zur Lösungsfindung notwendig macht. Ganz im Sinne der Agenda 21 der Vereinten Nationen aus dem Jahr 1992 (UN 1992) soll so eine nachhaltige Entwicklung und eine Transformation der Gesellschaft ermöglicht werden. Für Hochschulen bedeutet das, konkrete Inhalte zu vermitteln und Raum für das Erlernen notwendiger Kompetenzen anzubieten. Bestehende Lehrveranstaltungen werden im Rahmen der BNE überprüft und zusätzliche Lehreinheiten einführt. Vor allem aber wird das Lernsetting umgestellt, da Kompetenzen nicht einfach gelehrt werden können, sondern erfahren und problemorientiert erlernt werden müssen (Leicht et al. 2018).

Unter nachhaltigkeitsrelevante Themenstellungen, die eine Transformation zur Nachhaltigkeit ermöglichen, fallen z. B. Klimawandel, Bevölkerungsentwicklung, Welternährung, Biodiversität, Bodendegeneration und Trinkwasserversorgung (WBGU 2011). Darüber hinaus sind Themen bedeutsam für BNE, wenn sie zentral für nachhaltige Entwicklungsprozesse (lokal oder global) sind, längerfristige Bedeutung haben, interdisziplinär bearbeitbar sind und Handlungspotenzial aufweisen (de Haan 2002).

Der UNESCO-Leitfaden „Issues and trends in education for sustainable development“ definiert darüber hinaus die Kernkompetenzen, die für eine nachhaltige Entwicklung wesentlich sind (Leicht et al. 2018):

  • Kompetenz zum systemischen Denken
  • Kompetenz zur Voraussicht
  • Normative Kompetenz, d. h. das Verständnis und die Reflektion von Werten, die den eigenen Handlungen zugrunde liegen
  • Strategische Kompetenz, d. h. die gemeinsame Entwicklung von innovativen Handlungen, die Nachhaltigkeit lokal und global voranbringen
  • Kollaborative Kompetenz
  • Kompetenz zu kritischem Denken

Digitalisierung der Lehre erleichtert Bildungszugang

Die Corona-Pandemie und die damit einhergehenden Kontaktbeschränkungen führten im letzten Jahr zu einem starken Ausbau digitaler Bildungsformate an deutschen Hochschulen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Erhebung des gemeinnützigen CHE Centrums für Hochschulentwicklung. Dabei handelt es sich nicht um einen kurzfristigen Trend: 94 % der Hochschulen sehen eine langfristige Chance für digitale Lehre (CHE 2020).

Der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) zur Verbesserung oder Unterstützung des Lernens in der Hochschulbildung reicht dabei von Studierenden, die E-Mail nutzen und online auf Kursangebote zugreifen, bis hin zu Lernformaten, die vollständig online angeboten werden (OECD 2005). Blended-Learning-Kurse kombinieren Online- mit Hörsaalaktivitäten und erreichen somit eine optimale Wissensvermittlung und Aufarbeitung der Lerninhalte (Kaur et al. 2013). Reine Onlinekurse können synchron – für alle Teilnehmer zu gleichen Zeit – oder asynchron und somit zeitlich flexibel besucht werden.

Der Einsatz von asynchronen Online-Kursen (Selbstlernkursen) ist gerade in Corona-Zeiten attraktiv, da neben der vergrößerten Reichweite des Kurses und einer zeitlichen Flexibilität auch die Kursbetreuung effizient gestaltet werden kann. Doch es gibt auch Nachteile: Die eingeschränkten Interaktionsmöglichkeiten im Rahmen von Selbstlernkursen können bei Studierenden zu einer verminderten Ausbildung sozialer Kompetenzen und einer eingeschränkten Kommunikationsfähigkeit in Bezug auf erlernte Sachverhalte führen. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über Vor- und Nachteile von Selbstlernkursen.

Vorteile Nachteile
Zugang zu Bildung:

– Digitale Medien ermöglichen Zugang zu globalem Wissen

 

 

Lernergebnis:

Bei Klärungen, Erklärungen und Interpretationen weniger effektiv als traditionelle Lehrmethoden

– Kann praktische Fähigkeiten nur eingeschränkt vermitteln

Flexibilität:

– Zeit und Ort der Vorbereitung und des Konsums der Lerneinheiten

– Reihenfolge der Lerneinheiten und das Lerntempo

Soziale Kompetenzen:

Gefühl von Abgeschiedenheit durch fehlende Interaktion

– Eingeschränkte Fähigkeit zur Sozialisation

Digitale Kommunikation:

– baut Hürden ab, die im persönlichen Kontakt bestehen können (Angst, Unsicherheit)

Analoge Kommunikation:

– Eingeschränkte Fähigkeit erworbenes Wissen wiederzugeben oder dieses in Diskussionen einzubringen

Kosteneffektivität:

– keine Räumlichkeiten und Reisen

– kompensiert Mangel an akademischem Personal

 

Technische Hürden und Betrugsrisiken:

eingeschränkte Verfügbarkeit durch technische Mängel oder Überlastung

– Piraterie und Plagiate

– Testumgebung bei Onlineprüfungen

Abbildung 1: Vor- und Nachteile asynchroner Online-Kurse (in Anlehnung an Arkorful et al. 2015)

Online-Kurse zu Nachhaltigkeit – eine Erfolgsgeschichte?

Der politische Anspruch an Hochschulen BNE in die Lehre zu integrieren und somit den gesellschaftlichen Transformationsprozess zu befördern, verstärkt in Deutschland die Suche nach praktikablen Lösungen. Nachhaltigkeitsinhalte sollen in adäquater Form aufbereitet und flexibel einsetzbar sein. Denn nicht immer sind Mittel und Personal für den Umbau der Curricula verfügbar. Erste Online-Plattformen zu Nachhaltigkeitsthemen sind entstanden, wie die Virtuelle Akademie Nachhaltigkeit der Universität Bremen (Virtuelle Akademie Nachhaltigkeit 2021). Aber auch interdisziplinär aufgestellte Verbundeinrichtungen, wie die virtuelle hochschule bayern (vhb), rüsten nach und nehmen digitale Selbstlernkurse zu Nachhaltigkeit ins Programm (vhb 2021).

Ab dem WS21/22 bietet die TH Deggendorf im Verbund mit der OTH Amberg-Weiden und der TH Nürnberg einen digitalen Selbstlernkurs mit dem Titel „Grundlagen Nachhaltigkeit“ an. Der Kurs gibt Einblicke in die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, materiellen und technischen Grundlagen einer Transformation zu Nachhaltigkeit und zeigt die Herausforderungen aus wissenschaftlicher Sicht. Der Kurs ist über die virtuelle hochschule bayern (vhb) buchbar und kann von vhb-Trägerhochschulen in ihre Studiengänge integriert werden. Leiter des Projektes ist Prof. Dr. Robert Feicht.

Praktische Erfahrungen aus der Konzeption und Umsetzung eines Selbstlernkurses zu Nachhaltigkeit an der TH Deggendorf zeigen, dass aus der Verknüpfung von BNE und digitaler Lehre große Potenziale erwachsen können, jedoch auf Limitationen in Hinblick auf eine vollständige Kompetenzentwicklung der Studierenden eingegangen werden muss.

Die Stärke des Selbstlernkurses zu Nachhaltigkeit liegt klar in der grundlegenden Wissensvermittlung zu Nachhaltigkeitsproblematiken. Eine Entwicklung im Hochschulverbund bringt interdisziplinäre Expertise zusammen und ermöglicht eine hohe Qualität der Lerninhalte. Durch den örtlich und zeitlich flexiblen Einsatz des Selbstlernkurses wird eine große Reichweite in der Vermittlung von Nachhaltigkeitsinhalten erreicht. Ein barrierefreier Zugang wird durch technische Maßnahmen und die Zweisprachigkeit des Kurses (deutsch/englisch) erreicht. Ein konzeptioneller Bezug von Kapitelinhalten zu den SDGs ermöglicht den Studierenden die Zuordnung von Lerninhalten zu transformationsrelevanten Fragestellungen aus der Agenda 2030.

In Bezug auf die Vermittlung von BNE relevanten Kompetenzen, deren Erlernen eine Kooperation und Interaktion der Studierenden voraussetzen, zeigt der Selbstlernkurs Limitationen auf. Anreize zum systemischen Denken oder der Voraussicht bei der Bewertung von Szenarien nach dem Vorsorgeprinzip können durch die fehlende Interaktion nicht immer auf die Lernsituation abgestimmt werden. Auch strategische und kollaborative Kompetenzen zur Entwicklung von transformativen Lösungen in der Gruppe sind nur eingeschränkt über ein dafür vorgesehenes Forum möglich. Kritisches Denken und die Fähigkeit zum Perspektivwechsel werden durch geeignete Tools und Fragestellungen – wie die Berechnung des eigenen ökologischen Fußabdrucks – unterstützt. Aber auch hier fehlt die Spiegelung des individuellen Verhaltens durch die Gruppe.

Am European Campus Rottal-Inn bietet die TH Deggendorf daher zusätzlichen Raum zum Lernen wichtiger Kompetenzen im Sinne einer umfassenden BNE an. Die Online-Lehre wird durch Reallabore zu Nachhaltigkeitsthemen am Campus ergänzt. So bekommen Studierende die Möglichkeit wichtige Kompetenzen in gemeinsamen Projekten zu erlernen und die gesellschaftliche Transformation zu Nachhaltigkeit zukünftig aktiv mitzugestalten.

Transformation durch Digitalisierung und KI

Zukünftig können Selbstlernkurse durch Methoden Künstlicher Intelligenz (KI) zusätzlich verbessert werden und Nachteile wie die fehlende Interaktion kompensieren. Durch die sogenannte Lehre 4.0 können neue Methoden eingesetzt werden, um diverse Schritte des Selbstlern-Prozesses zu unterstützen und den Lernerfolg zu optimieren (de Witt et al. 2020).

Die Individualisierung der Lerninhalte sowie die Verringerung des Gefühls der Isolierung stellen dabei zwei der größten Vorteile dar. Durch regelmäßige automatische Klassifizierung der Lernenden anhand ihrer Vorkenntnisse (z. B. durch einen Einstiegstest) oder ihres Lernverhaltens durch Analyse ihrer Interaktion mit den digitalen Lerninhalten ist eine adaptive und flexible Unterstützung möglich. Weiterhin kann durch intelligente tutorielle Systeme das Distanzgefühl verringert werden. Dies kann beispielweise durch Chatbots erreicht werden, die individuell auf Fragen eingehen. Diese sind zudem ständig erreichbar und fördern somit ein örtlich und zeitlich selbstbestimmtes Lernen. Sollten Studierende auf der Suche nach Mitstudierenden sein, die ähnliche Lerninteressen und Studiensituationen aufweisen, kann KI diese identifizieren, vernetzen und somit kollaborative Lernprozesse fördern.

Fazit

Durch die Digitalisierung von Lerninhalten können Selbstlernkurse wie der beschriebene vhb-Kurs dazu beitragen, Wissen zu Nachhaltigkeitsproblematiken einfacher einer breiten Zielgruppe näher zu bringen und somit die Transformation zur Nachhaltigkeit voranzutreiben. Der Einsatz von KI eröffnet neue Möglichkeiten der digitalen Vermittlung dringend benötigter Kompetenzen für eine nachhaltige Entwicklung. Durch die Ergänzung digitaler Kurse mit Präsenzangeboten können Hochschulen auch zukünftig ein zentraler Raum für die Reflektion globaler Herausforderungen bleiben.

Janina Beduhn

lehrt Nachhaltigkeitsmanagement an der TH Deggendorf und ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin verantwortlich für die Erstellung des virtuellen Onlinekurses zu Nachhaltigkeit. Sie verfügt über langjährige Erfahrung aus Nachhaltigkeitsberatung und Unternehmenspraxis.
janina.beduhn@th-deg.de

Prof. Dr. Christina Bauer

lehrt und forscht an der TH Deggendorf zu den Themen Künstliche Intelligenz und Digitale Lehre. Ihren Forschungsschwerpunkt legt sie dabei auf die Entwicklung intelligenter Assistenz-Systeme, die die Lernenden in den Mittelpunkt stellen aber auch die Lehrenden entlasten.
christina.bauer@th-deg.de

Literaturangaben

Arkorful, V. & Abaidoo, N. (2015). The role of e-learning, advantages and disadvantages of its adoption in higher education.(12-1), 29 ff.

CHE Centrum für Hochschulentwicklung. Digitalisierung an deutschen Hochschulen im Sommersemester 2020.

de Haan, G. de (2002). Die Kernthemen der Bildung für eine nachhaltige Entwicklung. ZEP : Zeitschrift für internationale Bildungsforschung und Entwicklungspädagogik(25), 13–20.

de Witt, C., Rampelt, F., Pinkwart, N. (Hg.). (2020). Künstliche Intelligenz in der Hochschulbildung: Whitepaper. Berlin: KI-Campus.

Kaur, M. (2013). Blended Learning – Its Challenges and Future. Procedia – Social and Behavioral Sciences, 93, 612–617.

Leicht, A., Heiss, J. & Byun, W. J. (Hg.). (2018). Education on the move. Issues and trends in education for sustainable development. United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization. Übersetzt nach: Bellina, L., Tegeler, M. K., Müller-Christ, G. & Potthast, T. (2018). Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) in der Hochschullehre (Betaversion): BMBF-Projekt „Nachhaltigkeit an Hochschulen: entwickeln – vernetzen – berichten (HOCHN)“. Bremen und Tübingen.

OECD. (2005). E-learning in tertiary education: Where do we stand? OECD.

Steffen, W., Richardson, K., Rockström, J., Cornell, S. E., Fetzer, I., Bennett, E. M., Biggs, R., Carpenter, S. R., Vries, W. de, Wit, C. A. de, Folke, C., Gerten, D., Heinke, J., Mace, G. M., Persson, L. M., Ramanathan, V., Reyers, B. & Sörlin, S. (2015). Sustainability. Planetary boundaries: guiding human development on a changing planet. Science (New York, N.Y.), 347(6223), 1259855.

United Nations. (1992). Agenda 21: Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung.

United Nations. (22. Februar 2021). The Sustainable Development Agenda. https://www.un.org/sustainabledevelopment/development-agenda/

Virtuelle Akademie Nachhaltigkeit. (19. Februar 2021). Die drei Elemente der Virtuellen Akademie Nachhaltigkeit. Universität Bremen. https://www.va-bne.de/index.php/de/

virtuelle hochschule bayern. (19. Februar 2021). Lehren ist das Teilen von Wissen. https://www.vhb.org/

Wissenschaftlicher Beirat Globale Umweltveränderungen. (2011). Welt im Wandel: Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation: [Hauptgutachten] (2. Aufl.). Welt im Wandel. Wiss. Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU).


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