Das Jahr der Pandemie 2020
Daniel Silberhorn
Das Jahr der Pandemie geht möglicherweise als ein Wendepunkt für Corporate Social Responsibility (CSR) in die Geschichte ein. Selten sah man ein so breites Engagement der Unternehmen, selten hatten sie eine solche Herausforderung zu schultern, und selten zeigte sich verantwortungsbewusstes Handeln als so eindeutig wertvoll für Unternehmen wie 2020/21. Aber es klafft noch immer eine Lücke zwischen dem, was die Gesellschaft von Unternehmen erwartet, und dem, was diese tun.
Es gibt ein Buch von Stefan Zweig, „Sternstunden der Menschheit“. Darin beschreibt der österreichische Schriftsteller Ereignisse, die unsere Geschichte tiefgreifend verändert haben. Zwar sind wir noch sehr nah dran am Geschehen und weiter mittendrin in der Krise. Aber das Jahr 2020 könnte sich im Rückspiegel der Zeit als eine solche Sternstunde für CSR erweisen. Denn die COVID19-Krise stellt die internationale Gemeinschaft vor eine der größten Herausforderungen seit Generationen. Und damit auch die Unternehmen. Eine Rückkehr zu genau der Normalität vor 2020 dürfte es danach nicht geben. Unsere Gesellschaft und die Erwartungen der Menschen werden andere sein. Deshalb müssen Unternehmen ihre Kultur, ihre Werte und sogar den Zweck ihres Handelns überdenken. Wir erleben wohl eine Sternstunde der CSR – aus drei Gründen.
1. Grund: Unternehmen müssen ran. Und tun es.
Regierungen und Behörden brauchen das Engagement verantwortungsbewusster Unternehmen, um die herausfordernde Aufgabe zu meistern. Zwar nutzten einzelne die Krise auf betrügerische Weise aus. In Großbritannien setzte das Kartellamt CMA im März 2020 daher eigens eine Taskforce ein, um Profiteuren auf die Finger zu klopfen. Unzählige Unternehmen fanden allerdings Wege, ihren Beitrag zur Bekämpfung von COVID19 und seiner Folgen zu leisten.
So taten sich Apple und Google zusammen, um ein System zur Nachverfolgung des Virus zu entwickeln. McDonald’s half Aldi mit Arbeitskräften aus. Chemieunternehmen wie Dow und INEOS produzierten Desinfektionsmittel. Der Chemie-Verband VCI und seine Mitglieder versorgten 1.000 Krankenhäuser mit mehr als 10 Mio. Liter Desinfektionsmittel. BMW und viele andere stellten Gesichtsmasken her, BASF spendete 100 Mio., Merck zwei Millionen Masken. Viessmann entwickelte Beatmungsgeräte und Lüfter für Schulen. Und es gibt viele weitere positive Beispiele.
Mit der massenhaften Produktion von Impfstoffen, in Rekordzeit entwickelt und zugelassen in einem kooperativ beschleunigten Prozess, verlagerte sich ab Ende 2020 das Engagement. Nun galt es, innerhalb möglichst kurzer Zeit eine möglichst große Anzahl an Menschen zu impfen.
Dafür arbeitete etwa das Pharma-Unternehmen Merck mit Biontech zusammen, um dem Impfstoff-Hersteller wichtige Ausgangsstoffe schneller liefern zu können. In England bot Uber 17.000 kostenlose Fahrten zu Impfzentren. Weltweit halfen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Firmen wie Starbucks, Microsoft, Virgin oder easyJet bei den Impfungen vor Ort. Ende Februar 2021 forderte die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) sogar, Unternehmen müssten den Beschäftigten über ihre Werksärzte Impfangebote machen.
Viele Initiativen wurden und werden angetrieben von dem ehrlichen Wunsch, etwas zu tun. Zugleich ist dieses Engagement durchaus sinnvoll für die eigene Reputation. Denn authentisches CSR-Engagement kann die Beziehung zu Kunden und Öffentlichkeit stärken. Allerdings geht es bei CSR um mehr als nur darum, Gutes zu tun. Es gilt, im Sinne der Gesellschaft Verantwortung für den eigenen Einflussbereich zu übernehmen. In der COVID19-Krise konzentriert sich das auf die Menschen.
2. Grund: Fürsorge für Mitarbeiter gelingt. Unter Druck.
Mit der Pandemie als weltweiter Krise war die Verantwortung für die Mitarbeiter wohl noch nie so groß. Und selten operativ und finanziell so herausfordernd. Während einzelne Branchen wie Online-Handel oder Streaming-Dienste florierten, gerieten andere Sektoren von Luftfahrt bis Kultur massiv unter Druck. Ende 2020 strich die Lufthansa 29.000 Stellen, Disney 32.000. Laut Statistischem Bundesamt ist 2020 alleine die deutsche Industrieproduktion um ein Zehntel eingebrochen.
Dennoch hatten Menschen weltweit hohe Erwartungen an die Arbeitgeber, wie Anfang 2020 die Umfrage ‚The COVID19 Mindset‘ der PR-Agentur FleishmanHillard zeigte. Mehr als die Hälfte der Befragten hielt es für sehr wichtig, dass Arbeitgeber sich besser um ihre Mitarbeiter kümmern.
Eine zentrale Erwartung war und ist natürlich, Arbeitsplätze zu sichern – auch durch ungewöhnlichere Maßnahmen wie freiwillige Gehaltskürzungen für Führungskräfte. Vor allem dank Kurzarbeit hat der deutsche Arbeitsmarkt mit Stand Februar 2021 die Pandemie bisher insgesamt relativ gut überstanden.
Über die Sicherung von Arbeitsplätzen hinaus sind Gesundheit und Sicherheit der Arbeitnehmer wichtigstes Anliegen. Mitarbeiter mussten vor Ansteckung geschützt, Abläufe kontaktarm und besonders hygienisch gestaltet werden. Die Ausbreitung des Virus zu stoppen oder wenigstens zu bremsen lautete die Maxime auf gesellschaftlicher Ebene – „flatten the curve“. Und gleichzeitig die Kontinuität des Geschäftes sicherzustellen. Eine gesamtwirtschaftliche Mammutaufgabe.
OSI Foods setzte beispielsweise frühzeitig einen ‚COVID Assessment and Control Plan‘ für die gesamte Produktion und Verwaltung um – simultan für mehr als 3.000 Mitarbeiter in acht Ländern alleine in Europa. Wie viele Firmen hatte der globale Lebensmittel-Zulieferer umfassende Information, Trainings und Schulungen ebenso auf die Beine zu stellen wie ausgefeilte Hygiene-Konzepte und Kontaktverfolgung. Und das per Szenario-Planung auf verschiedenen möglichen Eskalationsstufen bis hin zur Krisenkommunikation.
Wo möglich sollten Angestellte von Zuhause aus arbeiten. Während die Bereitstellung technischer Voraussetzungen für viele überraschend gut gelang, waren die Unternehmen auch gefordert, quasi ‚Führung To Go‘ zu bieten und die Unternehmenskultur ‚remote‘ aufrechtzuerhalten.
Hier gewann RB, ein globales Konsumgüter-Unternehmen, gerade einen European Excellence Award für seine Initiative ‚RB Give Time Variété‘. Diese ermöglicht es Mitarbeitern, auf persönlicher Ebene in Verbindung zu bleiben, indem sie ihre persönlichen Talente teilen. So gibt es in der Mittagspause Klavierkonzerte, Meditation, kolumbianische Kochschule oder Vorträge zur Blockchain. Allegion gewann ebenfalls Anerkennung für seine durchdachte interne Kommunikation. Wie viele Unternehmen setzte der globale Pionier im Bereich Sicherheit auf Bewegtbild-Formate, um die Führungskräfte direkt zu den Mitarbeitern sprechen zu lassen. Auch TUI führte mit seinem ‚eCoffee‘ eine Möglichkeit lockeren Gespräches zwischen CEO und Belegschaft ein. In seinen ‚Voices of the Pandemic‘ kommen Mitarbeiter des Reiseanbieters in kurzen Clips mit ihren Sorgen, Gedanken und Träumen zu Wort. Viessmann erzeugte via LinkedIn ein auch extern erlebbares Gemeinschaftsgefühl, indem die Belegschaft unter dem Motto ‚ViMove‘ durch individuelle sportliche Aktivität gemeinsam virtuelle Kilometer sammelte. Diese wurden in reale Baumpflanzungen umgewandelt.
Je länger sich die Pandemie hinzog, desto stärker rückten psychisches Wohlbefinden und Work-Life-Balance in den Fokus. Führende Unternehmen wie das Softwareunternehmen SAP erkannten den Bedarf nach mehr Flexibilität und asynchroner Arbeit. Cawa Younosi, Head of People Germany SAP, fügte seiner E-Mail-Signatur sogar hinzu: “Meine Arbeitszeiten müssen nicht mit Ihren übereinstimmen. Bitte fühlen Sie sich nicht verpflichtet, außerhalb Ihrer normalen Arbeitszeiten zu antworten.“ Personio ließ Eltern ihre Arbeitszeit bei Bedarf um 25 Prozent reduzieren – bei gleichem Lohn. Zugleich unterstützt der Anbieter von HR-Software Childcare finanziell.
Inzwischen werden weitere soziale Folgen der Pandemie und ihrer Bekämpfung sichtbar. So warnen Beobachter etwa vor neuen Ungleichheiten. Nicht nur in der globalen Verteilung von Impfstoff. Sondern auch zwischen den Geschlechtern innerhalb unserer westlichen Gesellschaft. Laut DGB reduzierten Frauen ihre Arbeitszeiten deutlich stärker als Männer, um sich mehr um die Kinder zu kümmern. Solche Fragen müssen nun von den Unternehmen verstärkt adressiert werden.
3. Grund: Gute CSR macht stark. Auch nach Corona.
Die Krise zeigt: Verantwortungsvolle Organisationen sind resilienter. So konnten etwa Unternehmen mit starkem Gesundheits- und Sicherheitsmanagement ihre Mitarbeiter effektiv schützen und in der Krise schnell handeln. Und wer Talente und Expertise für die Zeit nach der Krise halten will, tut gut daran, Entlassungen zu vermeiden und durch sozialen Dialog die Motivation aufrechtzuerhalten. COVID19 hat uns zudem schmerzlich bewusst gemacht, wie anfällig globale Wertschöpfungsketten sind. In Bangladesch meldeten 1.150 Fabriken bis Oktober 2020 Auftragsstornierungen im Wert von 3,18 Mrd. USD. Viele sind von der Schließung bedroht, werden aber später wieder gebraucht. Es ist also entscheidend, eng mit den Lieferanten zusammenzuarbeiten, um sie im Geschäft zu halten.
Gleichzeitig vertrauen Investoren darauf, dass verantwortungsvoll handelnde Unternehmen mit der Krise besser klarkommen. Zwar litten nachhaltige Fonds im ersten Quartal 2020 ebenfalls, aber weniger stark als konventionelle Investments. Laut einer Umfrage von J.P. Morgan unter 50 weltweit tätigen Investoren erwarten 55 Prozent, dass mehr in ESG investiert wird. Entsprechend titelte die Financial Times im September 2020: „ESG surges as investors search for better corporate citizens“
Kein Wunder, dass die OECD vor allem auf dieses gestiegene Interesse von Investoren an Umwelt-, Sozial- und Governance-Themen (ESG) verweist, wenn sie argumentiert, dass eine sichtbare gute CSR-Performance helfen wird, die Krise zu überwinden. Zudem sähen sich verantwortungsbewusste Unternehmen geringeren rechtlichen Risiken ausgesetzt. Und sie hätten bessere Chancen, staatliche Unterstützung zu erhalten. Tatsächlich hat zum Beispiel Angela Merkel während des WEF 2021 gefordert: Mehr als 35 Prozent der europäischen Anschubfinanzierungen sollten den Klimaschutz fördern. Die OECD erwartet zudem einen spürbaren positiven Effekt auf Reputation und Marke.
Eine Einbettung von CSR in das Krisenmanagement zahlt sich also aus. Dessen sind sich viele Unternehmen bewusst – und treiben CSR/ESG-Programme nicht trotz, sondern wegen der Pandemie voran. Laut einer PwC-Umfrage etwa wollen mehr als die Hälfte der US-amerikanischen CFOs ihre Lieferketten noch widerstandsfähiger machen.
Was bleibt unter dem Strich? Alles in allem wird die Mehrheit der Unternehmen in dieser Sternstunde, diesem Wendepunkt für die CSR, auf vielfältige Weise ihrer Verantwortung gerecht. Sie packen mit an, sie kümmern sich um ihre Mitarbeiter. Allerdings klafft noch immer eine Lücke: Zwischen dem, was die Menschen von Unternehmen erwarten, und dem, was diese tun. Denn die Erwartungen haben sich weiter verändert. Eine globale FleishmanHillard-Studie zeigt: 91 Prozent der Mitarbeiter wollen, dass ihr Unternehmen Kultur, Werte und ihren Zweck neu bewertet. Unternehmen sollen in Zukunft noch stärker die Belange aller Stakeholder berücksichtigen.
Unternehmen sollten sich darauf einrichten, dass CSR/ESG stärker in den Fokus rücken. Gleichzeitig sollten sie ihr authentisches Engagement im Sinne ganzheitlicher Verantwortung weiter sichtbar machen und als roten Faden in ihre transparente faktenbasierte Kommunikation einweben.
Als Folge der Pandemie haben sich die Regeln geändert. Es ist an der Zeit, sich darauf einzustellen.
Daniel Silberhorn
ist Senior Consultant Corporate Communications and Sustainability bei FleishmanHillard in Frankfurt/Main.
daniel.silberhorn@fleishman.com
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