Schwamm drüber? Wie deutsche Städte aus Starkregenereignisse lernen
Das Konzept der "Schwammstadt" als Hochwasserschutz
Anna Surguchova, Jan Meyer und Ole Tröbs
Mitte Juli 2021. Es sind Sommerferien in Nordrhein-Westfalen. Doch von Hitze und Badewetter keine Spur. Schon seit Tagen regnet es nur noch und für den 14. Juli werden erneute Unwetterwarnungen ausgesprochen. Solche Unwetterwarnungen sind in Deutschland keine Seltenheit und meist gehen sie glimpflich aus, weshalb sie von vielen Verantwortlichen eher gelassen aufgenommen wurden. Doch dieses Mal ist alles anders. Innerhalb von 24 Stunden fallen in Teilen von NRW und Rheinland-Pfalz 100 bis 150 Liter Regenwasser pro Quadratmeter, der allergrößte Teil davon in einem kurzen Zeitfenster von knapp über zehn Stunden.
Die durch vorausgegangene Regenfälle stark gesättigten Böden sind nicht mehr in der Lage, die Wassermassen aufzunehmen, und die Pegelstände der Flüsse und Bäche steigen. Innerhalb von wenigen Stunden bahnt sich die Flut ihren Weg und begräbt ganze Dörfer unter sich. In Orten wie Ahrweiler müssen die Leute auf ihren Dächern ausharren, um auf Hilfe zu warten.
Der Deutsche Wetterdienst spricht von einem „Jahrhundertereignis“. Auch wenn das von der Intensität des Unwetters zutreffen mag: Flutkatastrophen sind in Deutschland keine Seltenheit mehr. Schon 2002 traten Donau und Elbe über die Ufer, 2005 beim Alpenhochwasser erwischte es München und Augsburg und 2017 den Harz. Schuld daran, wie so oft – der Mensch.
Die warmen klimawandelbedingten Temperaturen machen die Luft aufnahmefähiger, sodass sie mehr Wasser speichern kann. Kommt es dann zu Niederschlägen, werden diese großen Wassermengen freigesetzt. Solch starke Niederschläge passieren heute doppelt so häufig wie noch vor 100 Jahren.
Zusätzlich nehmen menschliche Besiedlungsprojekte den Flüssen ihren Platz. Durch Flussbegradigungen wird deren Fließgeschwindigkeit erhöht, durch die sich weiter verdichtende Besiedlung an Flussufern gehen wichtige natürliche Überschwemmungsgebiete verloren. Der Auenverlust und die rasante Bodenversiegelung in Deutschland sorgen dafür, dass die Wasseraufnahmefähigkeit der Böden weiter sinkt.
Das CSR MAGAZIN will jungen Autoren eine Stimme geben. In dieser Ausgabe berichten zwei Teams aus dem Masterstudiengang “Transformationsmanagement in ländlichen Räumen” der Universität Vechta angesichts zunehmender Starkregenereignisse über das Konzept der “Schwammstadt”.
Ein Schwamm als Vorbild für Städte?
Spätestens seit der Hochwasserkatastrophe in Ahrweiler und anderen Gebieten in Deutschland im Jahr 2021 stehen Maßnahmen gegen Hochwasser in vielen deutschen Städten und Kommunen auf der Agenda. Die Angst vor ähnlichen Szenarien vor der eigenen Haustür wurde durch Fotos von überschwemmten Häusern und schwimmenden Straßenschildern gestärkt. Doch was kann man gegen solche Naturgewalten im Fall der Fälle unternehmen?
Bei einem Blick auf internationalen Hochwasser-Schutzmaßnahmen fällt ein Begriff auf: Schwammstadt (engl.: Sponge City). Wie der Name bei dem aus China stammenden Konzept suggeriert, geht es darum, Regenwasser in der Stadt zu speichern, anstatt es – wie gehabt – in die Kanalisation zu befördern. Die Städte sollen somit die Fähigkeit erhalten, große Wassermengen “aufzusaugen. Vorreiter-Städte wie Peking zeigen, wie dies mittels diverser Grünflächen und Wasserareale wie Bäche oder Auffangbehälter umgesetzt werden kann. Neben einer Krisenfestigkeit gegenüber großen Wassermengen verspricht das Schwammstadt-Konzept noch weitere Vorteile. So soll der Grundwasserspiegel aufgefüllt werden, damit Reserven für Dürreperioden vorhanden sind. Auch das Stadtklima kann dadurch im Sommer angenehmer werden, denn mit entsprechenden Maßnahmen ließe sich die Temperatur um bis zu 2 Grad senken. Doch wie sieht es mit der Umsetzung dieser Maßnahmen in Deutschland aus?
Während in einigen Städten Bürger*innen- vergeblich- für eine grünere Stadt werben und sich von Städten und Kommunen nicht gehört fühlen, gibt es auch in Deutschland schon einige Beispielregionen.
Erste Städte gehen voran
Ein Vorreiter ist die Stadt Wuppertal in Nordrhein-Westfalen, wo bereits seit 2018 an einem Entwurf für eine Schwammstadt gearbeitet wird. Die Stadt mit ihren ca. 355.000 Einwohner:innen liegt an der Wupper, die durch die im Tal liegende Innenstadt mäandriert und 2021 ebenfalls über die Ufer trat.
Mit ihrer Bewerbung zum Schwammstadt-Wettbewerb des Landes Nordrhein-Westfalen markierte die Stadtverwaltung ihr Interesse, die Stadt bis 2035 zu einer klimaneutralen Schwammstadt umzuwandeln. Das Ziel: Bis zur Bundesgartenschau im Jahr 2031 sollen erste Ergebnisse sichtbar sein.
Die Tallage des Stadtkerns bringt die Stadt bei zunehmenden Extremwettersituationen immer wieder in gefährliche Situationen. Das war in den letzten Jahren zu beobachten, denn schon im Jahr 2018 stand des Zentrum Wuppertals unter Wasser. Die häufiger werdenden Starkregen der letzten Jahre werden einen großen Einfluss auf die Visionäre der Stadt gehabt und sie darin bestärkt haben, das Wassermanagement zu revolutionieren.
Anja Bierwirth vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie bezeichnet es als ungewöhnlich, dass innerhalb von gerade einmal drei Jahren zwei so starke Fluten aufgetreten sind. Besonders das große überregionale, Ausmaß des Hochwassers im letzten Sommer hat sie überrascht. Drei Jahre seien zudem eine kurze Zeit für die Anpassung, immerhin müssen hier viele unterschiedliche Unternehmen, Planungsbüros und Behörden zusammenarbeiten und Konzepte verknüpfen, so Bierwirth weiter. Da wundert es nicht, dass die Stadt bereits mehrere Jahre zuvor die Planung für ein Schutzkonzept begonnen hatte. Der konkrete Antrag zur Schwammstadt erfolgte dann im Sommer 2021 – wenige Tage nach der Flut.
Maßnahmenkombination gefragt
Eine der Lehren aus den letzten Hochwasserereignissen ist die Notwendigkeit einer verbesserten Kommunikation und Warnung der Bevölkerung anhand präziserer Prognosen. Gleichzeitig müssen Städte, sowie Privatpersonen und Unternehmen andere Schutzmaßnahmen ergreifen, die sich in vielen Fällen auch direkt mit Klimaschutzmaßnahmen kombinieren lassen. Gemeinden sind per Gesetz verpflichtet, ein Hochwasserschutzkonzept zu haben – eine Chance, denn eine Kombination aus Hochwasserschutz, Klimaschutz und Klimaanpassung in modernen Konzepten ermöglichen es den Gemeinden, sich auf die neuen Herausforderungen in der Regionalplanung einzustellen. Bierwirth drängt auf eine Umsetzung der Maßnahmen-Kombination nicht nur auf dem Papier, sondern in der Praxis.
Dabei gäbe es durchaus Schnittstellen und anstelle nur über Zielkonflikte zu reden wäre ein Gespräch über Synergien an der Zeit, so Bierwirth weiter. Da wäre zum Beispiel der Wohnungsbau. Ein kleiner Beitrag, der in der Summe jedoch große Effekte erzielen kann, wäre die Begrünung von Dächern und Fassaden. Sie können Regenwasser auffangen und speichern, der bei Starkregen dann nicht über die Kanalisation abgeleitet werden muss. Außerdem sorgen die oftmals effizienteren Aufbauten für Gründächer zugleich für bessere klimatische Bedingungen in Innenräumen und sparen Energie, wodurch Emissionen eingespart werden können. Eine besondere Möglichkeit sieht Bierwirth bei Unternehmen: Stark versiegelte Firmengelände, insbesondere in Industriegebieten, funktionieren wie eine Hitzeinsel. Wärme staut sich an und Regen kann nicht gut abfließen. Durch Gründächer, Ausgleichsflächen und Entsiegelung kann diesen Problemen entgegengewirkt werden.
Ähnlich äußert sich auch Professor Floris Boogaard vom Research Centre for Built Environment NoorderRuimte, der Universität Groningen. Das Centre beschäftigt sich mit Anpassungsmaßnahmen für den Klimawandel. Boogaard sieht folgendes Problem: „Unternehmen erfinden Innovationen, dürfen ihre Innovationen aber oft nicht umsetzen, weil sie nicht getestet sind“. Durch Living Labs, ein Labor im realen Kontext, kann dem Abhilfe geschaffen werden. Bei unseren holländischen Nachbarn existieren bereits zwei Living Labs, die genau dieses Problem adressieren. „Dort finden Interaktion zwischen innovativen Unternehmen, die ihre Produkte entwickeln und verkaufen möchten, und Forschern, die Produkte testen, um die Lösungen zu optimieren, sowie Besuchern von Kommunen, die die Innovationen live verfolgen können, statt“, wie Boogaard aus seinen Forschungen am Living Labs weiß. „Es besteht die Möglichkeit, die Produkte kennenlernen, die Anwendungen zu sehen, die Publikationen zu lesen und sie dann in der eigenen Stadt zu implementieren“, so der Wissenschaftler weiter. Hier sieht Boogaard schon kleine einfachere Möglichkeiten für Unternehmen und Einzelpersonen, erste Schritte zu planen und die Heimatstadt zu einer Schwammstadt umzugestalten. Neben kleineren Projekten – beispielsweise grüneren Gärten – sind auch größere Maßnahmen wie Dach- und Fassadenbegrünungen oder Tümpel auf dem Firmengelände denkbar. Weniger Beton, mehr Grün sei hierbei das Motto.
Viele Ideen – ebenso viele Hindernisse?
Trotz der guten Intention kommt das Schwammstadt-Konzept nicht ohne Probleme und Kritik aus. Nach der Veröffentlichung durch die Fraktionen des Wuppertaler Stadtrates (Bündnis 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, DIE LINKE) wurden Stimmen aus der Bevölkerung laut, die die Maßnahmen als scheinheilig darstellen. Leser:innen der Wuppertaler-Rundschau hinterfragten sogar die generelle Notwendigkeit eines solchen Konzeptes. Ebenfalls problematisch ist die aktuelle Gesetzeslage. Die Abwasserverordnung schreibt vor, dass das meiste Abwasser über die Kanalisation abgeleitet werden muss. Ausnahmen für bestimmte Bereiche sind jedoch möglich und einige Städte, wie beispielsweise Wuppertals Nachbarstadt Solingen, haben diese Möglichkeit genutzt, um das natürliche Versickern über Grünflächen auszuweiten. Hier gibt es in Wuppertal noch Verbesserungspotenzial.
Die Stadtverwaltung steht also noch am Anfang ihres Weges.. „Denn ganz ohne Nutzungskonflikte wird es wohl nicht gehen“, sagt Bierwirth. Da wären zum einen die anderen Nutzungsarten, für die der öffentliche, aber auch der private Raum zur Verfügung stehen muss. Eine Straße ist eben nicht nur eine Retentionsfläche und ein Park nicht nur zur Wasserspeicherung da. Hier muss die Ratskoalition Wuppertals noch zeigen, dass sie in der Lage ist, verschiedene Planungskonzepte mit den Ideen der Schwammstadt zu verknüpfen. Außerdem problematisch ist die Verfügbarmachung von Flächen. Privat genutzte Flächen können erheblich zum Erfolg einer Schwammstadt beitragen, gerade wenn es sich um größere ungenutzte Potenzialflächen handelt. Bierwirth sieht die Stadtverwaltung hier vor der Herausforderung, ihr bestehendes Instrumentarium an Planung und Durchführung zu überprüfen und es falls nötig zu vereinfachen. Des Weiteren fordert sie mehr Eingriffsrechte bei privaten Flächen, um diese besser in die kommunale Planung einbeziehen zu können. Dadurch möchte sie die bestmögliche Umsetzung der Schwammstadt an den Orten zu sichern, welche die günstigsten Voraussetzungen mitbringen. Das könnte konkret bedeuten, dass weniger Autostellplätze pro Gebäude zur Verfügung gestellt werden, um die Flächenversiegelung zu verringern, sowie gleichzeitig den öffentlichen Nahverkehr als Alternative auszubauen. Es bedeutet aber auch, dass die Stadtverwaltung ihre eigenen Prozesse vereinfachen muss, um der Bevölkerung eine einfachere Partizipation zu ermöglichen.
Im Gespräch betont Anja Bierwirth vom Wuppertal Institut, dass es nicht um eine perfekte Umsetzung des Schwammstadt-Konzepts gehe, denn das schlicht nicht möglich. Es sei keine „ganz-oder-gar-nicht“ Haltung. Stattdessen müsse die Schwammstadt mit weiteren Konzepten in einen guten Einklang gebracht werden und dabei helfe es schon, wenn einzelne Ideen der Schwammstadt übernommen würden.
Weiterführende Links:
- https://enorm-magazin.de/umwelt/umweltschutz/wasserschutz/zukunftsbegriff-die-schwammstadt
- https://www.tagesschau.de/wirtschaft/schwammstadt-staedtebau-berlin-101.html
- https://www.ardalpha.de/schwammstadt-regenwasser-klimawandel-100.html
Anna Surguchova, Jan Meyer und Ole Tröbs
studieren im Masterstudiengang “Transformationsmanagement in ländlichen Räumen” an der Universität Vechta
trm.vechta@gmail.com