Virtuelle Teamarbeit gut gestalten
Lektionen des globalen PR-Projekts GlobCom: Ein Erfahrungsbericht
Daniel Silberhorn
In der Pandemie haben wir gelernt, als virtuelle oder hybride Teams zu arbeiten. Und Umfragen zeigen: Angestellte wollen das weiterhin. Doch nicht immer gelingt diese Form der Zusammenarbeit im Alltag. Der Blick auf GlobCom, ein globales Uni-Projekt für Kommunikations- und PR-Studierende, gibt Anhaltspunkte: Was ist wichtig, damit virtuelle Teams erfolgreich sein können?
„Es ist nicht zielführend, in der virtuellen Zusammenarbeit alle künstlich auf eine identische gemeinsame Linie zu zwingen“, sagt Krithapas aus Thailand. Der PR-Student ist bereits erfahren in der virtuellen Zusammenarbeit und Leitung von reinen Online-Teams. 2021 war er als einer der Global Leaders im weltweiten PR-Projekt GlobCom (siehe Kasten) für eines verantwortlich. „Natürlich gilt es, über Ziele zu sprechen – Autonomie und Vertrauen haben sich aber als sehr effektiv erwiesen.“ Damit liegt Krithapas ganz im Trend von New Work – und befindet sich mit solchen Überlegungen in bester Gesellschaft.
Denn über die Effektivität virtueller Zusammenarbeit mussten sich in den vergangenen zwei Jahren die Führungskräfte weltweit Gedanken machen. In Deutschland zum Beispiel arbeitete 2021 ein Viertel aller Erwerbstätigen zumindest gelegentlich von Zuhause, so das Statistische Bundesamt.
Und auch wenn etwa Google im April 2022 verkündete, die Mitarbeitenden des Internet-Giganten müssten zumindest einige Tage in der Woche zurück in die Firma, bleibt die Büro-Arbeitswelt hybrid – auch auf Wunsch der Angestellten. Laut einer Studie des Ifo-Institutes vom Herbst 2022 unter Angestellten in 27 Ländern wünschen sich diese im Schnitt 1,1 bis 2,3 Tage Homeoffice. Ein Viertel würde demnach kündigen und sich einen neuen Job suchen, fiele die Option auf Heimarbeit weg.
GlobCom basiert komplett auf der virtuellen Zusammenarbeit von 20 bis 30 Studierenden aus bis zu 15 Ländern. Und das ohne jede disziplinarische Weisungsbefugnis oder Firmenhierarchie – wer hier als Teamleiter nicht motiviert und gut führt, hat keine Chance auf Erfolg mit seiner virtuellen Crew. Damit bietet das Projekt wertvolle Anregungen dafür, wie ein virtuelles Arbeiten gelingen kann.
Teams sind mehr als funktionale Einheiten
Wie bringt man eher inaktive Mitglieder dazu, sich einzubringen? Das ist eine jedes Jahr wieder neu aufkommende Frage bei GlobCom. Die Erfahrung lehrt: Möglichst viele einzubinden wird schwieriger, je weiter fortgeschritten das Projekt ist. Besonders der Beginn einer Zusammenarbeit als virtuelles Team ist daher entscheidend. Hier gilt es, die soziale Ebene nicht zu vergessen. „Jede Teamarbeit beinhaltet neben der aufgabenbezogenen Ebene auch sozio-emotionale Elemente“, weiß Averill Gordon, Professorin an der Auckland University of Technology in Neuseeland und globale Team-Mentorin bei GlobCom. „Wenn diese zweite Ebene fehlt, funktionieren Teams in virtuellen Kontexten nicht auf Dauer.“ Es passiert allerdings leicht, dass sich virtuelle Teams überwiegend rein auf der Aufgabenebene bewegen, so Gordon. „Dadurch geht aber der menschliche Faktor verloren, der für Motivation und das Zusammengehörigkeitsgefühl wichtig ist.“
Bewährt hat sich deshalb, zu Beginn virtuelle Treffen nur für das Kennenlernen einzurichten, bei denen es z.B. um Hobbys und Interessen gehen darf – auch Online-Spiele helfen. Kleine geteilte Steckbriefe oder persönliche Fotos und Videos machen die Persönlichkeiten sichtbar und lassen Verbindendes entdecken. In der weiteren Zusammenarbeit braucht es dafür weitere Möglichkeiten. Das können im hybriden Kontext regelmäßige gemeinsame Präsenszeiten sein oder virtuelle Kaffee-Pausen sowie ein virtuelles Feierabend-Getränk. Plattformen wie MS Teams erlauben außerdem verschiedene Kanäle der Kommunikation. So ist es möglich, sich in extra Chats mit Bezeichnungen wie ‚Coffee Kitchen‘ über Themen wie Freizeit und Interessen auszutauschen.
Im Online-Kontext ist es oft schwieriger zu sehen und zu verstehen, worin einzelne Leute gut sind. Bei GlobCom lösen das manche Teams dadurch, dass sie in einer gemeinsamen Session über ihre Interessen und Kenntnisse sprechen. Hierfür gibt es etwa das Instrument „Skills Market“. Dabei präsentieren die Teilnehmenden was sie können und wollen in einem virtuellen Marktstand.
Auf die richtige Führung kommt es an
Teamleader müssen ein verteilt arbeitendes Team anleiten, motivieren und unterstützen. Die Erfahrung von GlobCom zeigt, wie herausfordernd und einsam diese Rolle sein kann, die außerdem einen hohen Arbeitseinsatz erfordert. Bewährt hat sich in diesem globalen Projekt daher, einen Stellvertreter zu benennen – und sich die Aufgabe der Teamführung zu teilen.
Dabei sind Führungspersonen nicht unbedingt die Menschen, die wir im Offline-Leben als typische Anführer sähen. Bei GlobCom sind im Gegenteil oft eher ruhige und vor allem ausgeglichene Menschen erfolgreich, die sich um Verstehen bemühen und sich in andere einfühlen können. „Gute virtuelle Teamleiter sind zudem sehr gut organisiert und können Aufgaben und Hintergründe erklären. Damit holen sie die anderen ab und können sie mitnehmen“, sagt Averill Gordon. Teamleiter müssen schließlich sehr bewusst ‚vorbeischauen‘ und Wertschätzung vermitteln. Dazu gehöre auch, so Gordon, zu feiern, wenn es etwas zu feiern gibt – und gute Arbeit ganz gezielt für alle sichtbar zu machen.
Generell funktioniert bei GlobCom ein kollaborativer Führungsstil sehr viel besser als eine hierarchisch geprägte Leitung. Denn die Teamleiter sind in diesem Kontext in besonderem Maß auf die Bereitschaft zur Kooperation angewiesen. „Ein Global Leader erstellte einmal ein Organigramm, das ihn selbst an der Spitze und die anderen darunter zeigte“, berichtet Averill Gordon. „Das hat nicht besonders gut funktioniert.“ Krithapas, Global Team Leader 2021 aus Thailand, kann das nur bestätigen: „Ich habe gesehen, dass es am besten ist, den Mitgliedern meines Teams möglichst viel Freiheit zu lassen – solange die Ergebnisse zu unserem Team-Ziel passen.“
Passend dazu und wichtig für den virtuellen Erfolg ist es, Verantwortung und Aufgabenbereiche zu verteilen. „Je mehr klar definierte Rollen die GlobCom-Teams haben, desto effektiver arbeiten sie“, sagt Averill Gordon. „Die verteilte Verantwortung bindet die Einzelnen ein, gibt ihnen motivierende Möglichkeit der Mitwirkung und auch Anlässe, um mit anderen in Kontakt zu treten. Gerade Letzteres ist nicht zu unterschätzen, da das hilft, Isolierung vorzubeugen.“ Gleichzeitig bieten diese Rollen Anleitung und Richtung für die Einzelnen und bedeuten so effektive Führung.
Inklusion aller Stile und Mitglieder
Gibt es das noch, kulturelle Unterschiede in Zeiten, in denen sich insbesondere die wohlhabenderen Kulturen in vielen Bereichen von Popkultur bis Technologie anzugleichen scheinen? Tatsächlich berichten die Studierenden von GlobCom meist von vielem, was sie verbindet. Dennoch gibt es immer wieder unterschiedliche Herangehensweisen und Gewohnheiten. So sind Studierende aus den USA im Durchschnitt oft präsenter und mehr auf einen Wettbewerb der Ideen aus, während traditionell eher zurückhaltende Nationalitäten aus dem asiatischen Raum sich weniger sicht- und damit auch weniger hörbar machen. Hier zeigen sich zwei wichtige Dinge:
Einerseits der Vorteil einer vertrauensvollen Führung, die individuelle Freiräume mit Blick auf die geteilten Ziele gestalten lässt: „Bei GlobCom kommen durch die 15 unterschiedlichen Nationalitäten und Kulturen verschiedene Arbeitsweisen und Perspektiven zusammen“, sagt die globale Mentorin Averill Gordon. „Diese brauchen Raum und die Möglichkeit, sich auf ihre Art einbringen zu können.“ Denn das ist der zweite Aspekt: Studierende aus asiatischen Ländern wie etwa Malaysien halten sich in größeren Runden eher zurück. Die Gefahr: Deren Wissen und Können geht für ein Team leicht verloren, und ein scheinbarer Konsens basiert nicht auf der Meinung aller. „Ich habe das so gelöst, dass ich Einzelne gezielt anspreche“, erzählt Krithapas. „Jeder braucht die Möglichkeit, sich auf für sich passende Weise ausdrücken zu können. Wenn sich Menschen ausgeschlossen fühlen, geht ihre Produktivität rapide in den Keller.“ Gerade für Abstimmungen gibt es zudem digitale Instrumente wie etwa Mentimeter. Dynamische Wortwolken, Live-Umfragen – solche Elemente lockern auf und binden alle ein.
Von den Studierenden verlangt die Unterschiedlichkeit immer wieder ein bewusstes Verhalten. „Wer Ärger verspürt, ist möglicherweise auf einen persönlichen Unterschied gestoßen“, sagt Gordon. „Spätestens dann ist ein sich gegenseitig wertschätzendes Gespräch nötig. Dann zeigt sich vielleicht: Jemand weiß einfach nicht, wie eine Aufgabe angehen. Und traut sich nur nicht, das zu sagen.“
Zusammenarbeit und Konflikte
GlobCom verlangt eine hohe Verteilung der Arbeit rund um den Globus. Das erfordert mindestens eine Kommunikationsplattform und die Möglichkeit, Dateien zu teilen. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Instrumenten. Hier hat sich MS Teams in vielen Organisationen zum Quasi-Standard entwickelt. Dort kann das Team gemeinsam auch zeitgleich an Dateien arbeiten und sich in Chats und Videokonferenz austauschen. Zusätzliche Apps bieten weitere Instrumente für die Planung.
Doch wie ein Team organisieren? Bewährt haben sich bei GlobCom wöchentliche Meetings für Information und Diskussion, während Vorlagen in kleineren Teams erarbeitet werden. „Wir hatten Teams für Recherche, Design, Analyse und Strategieentwicklung,“ berichtet Krithapas. „Wichtige Meilensteine wie etwa die Situationsanalyse haben wir dann im gesamten Team gemeinsam besprochen.“ Das lässt den Teams genug Spielraum, sich um die jeweiligen Aufgaben zu kümmern und ermöglicht dennoch Partizipation an jeder Wegkreuzung. Bei der Vielzahl an Teilnehmenden bestätigt sich, was auch offline als gute Praxis zählt: Agenda, Moderation, Fokus auf Entscheidungen und ein Protokoll, das Resultate, Aufgaben, Verantwortlichkeiten und Deadlines festhält.
Konflikte entstehen und eskalieren in virtuellen Umgebungen oftmals schneller als bei persönlicher Zusammenarbeit: „Fehlender Kontext bringt die Gefahr der Fehlinterpretation“, warnt Gordon. „Und eine emotionale Antwort auf eine E-Mail oder Chat-Nachricht ist schnell abgesetzt.“ Diskretion ist hier in jedem Falle wichtig. Bei Problemen sollten öffentliche Boards, Gruppenchats oder E-Mails mit mehreren Empfängern tabu sein. Je komplexer der Sachverhalt, desto mehr sollte ‚warmen‘ Kanälen wie Audio oder Video der Vorzug gegeben werden. GlobCom-Studierende in Deutschland erhalten auch eine Kurz-Einführung in gewaltfreie Kommunikation: Gerade online verhindert eine Trennung zwischen Beobachtung, Empfindung, Benennung von Bedürfnissen und Bitte oftmals eine Eskalation, die durch bewertendes Kommunikationsverhalten angetrieben würde.
Krithapas dazu: „Das Wichtigste ist, aus einem kollaborativen Mindset heraus gute Beziehungen zwischen allen zu pflegen und zu schauen, dass sich alle wohl fühlen. Und wenn etwas ist: Miteinander reden.“
Daniel Silberhorn
ist seit 2015 nebenberuflich Dozent für Global Communications an der Universität Erfurt und Repräsentant für das globale PR-Projekt GlobCom in Deutschland.
GlobCom
ist ein 15 Länder umspannendes Bildungsprojekt in globaler Public Relations für Kommunikations- und PR-Studenten, das 2002 an der Universität Erfurt gegründet wurde. Über einen Zeitraum von drei Monaten entwickeln dabei neun multinational besetzte Teams eine globale PR-Strategie für einen realen Kunden. Dabei trainieren die insgesamt mehr als 200 Studierenden interkulturelles Arbeiten und globale Zusammenarbeit als virtuelle PR-Agenturen. Anschließend präsentieren die Teams vor einer internationalen Jury auf einem dreitägigen Symposium. Weltweit tätige Unternehmen und Organisatoren können Fall-Sponsor werden und sich so für die universitäre Bildung engagieren. Mehr über GlobCom: https://soundcloud.com/globcom