Psychokardiologie
Einleitung
Die Psychokardiologie ist eine Spezialdisziplin, die sich mit den wechselseitigen Zusammenhängen von psychischen Aspekten und Herzerkrankungen beschäftigt.
Praxisrelevante Hinweise für den kardiologischen Alltag: Wer braucht psychokardiologische Unterstützung?
Eine kardiovaskuläre Erkrankung stellt ein kritisches Lebensereignis dar. Die Verarbeitung verlangt nach einer psychischen Anpassungsleistung. Es besteht ein erhöhtes Risiko für eine psychische Erkrankung abhängig von der psychosozialen Vorbelastung, Vorerkrankungen und den Ressourcen in der Bewältigung. Die häufigsten Komorbiditäten sind Angsterkrankungen, Depressionen und Traumafolgestörungen, welche mit Prävalenzraten von 10-40% auftreten. Folgende Screening-Fragen helfen, psychische Beschwerden zu identifizieren und zur Abklärung in die Psychokardiologie zuzuweisen.
Screeningfragen für psychische Komorbiditäten
Angst
- Besteht eine erhöhte Ängstlichkeit oder wiederkehrende Panikattacken resp. Notfallaufenthalte ohne neuen Befund?
- Vermeidet der Patient Tätigkeiten oder Orte aus Angst?
- Zeigt sich ein Sicherheitsverhalten mit häufigen Kontrollen und (digitaler) Überwachung?
Depression
- Ist eine vorbestehende Depression diagnostiziert oder werden depressive Symptome berichtet?
- Werden folgende beiden Fragen mit «Ja» beantwortet:
1. Fühlten Sie sich im letzten Monat häufig niedergeschlagen, traurig, bedrückt oder hoffnungslos?
2. Hatten Sie im letzten Monat deutlich weniger Lust und Freude an Dingen, die Sie sonst gerne tun? - Bestehen Suizidgedanken?
- Bestehen Schlafstörungen, Tagesmüdigkeit oder Schläfrigkeit?
Trauma/Traumafolgestörungen
- Leidet der Patient unter Flashbacks (Wiedererleben der Situation)?
- Vermeidet der Patient Situationen, welche ein Wiedererleben auslösen können?
- Bestehen eine übermässige Anspannung und Schreckhaftigkeit?
Therapiemöglichkeiten
Psychotherapie, Entspannungsgruppen, Biofeedback sowie Psychopharmaka zur Behandlung psychischer Störungen.
Sekundäre Prävention
Im Sinne der Sekundärprävention vor einem erneuten kardialen Ereignis sind untenstehende psychosoziale Risikofaktoren und Ressourcen evident. Bestehen Defizite, kann im Rahmen der Psychotherapie der Motivationsaufbau sowie auch die Verhaltensänderung unterstützt werden.
Stress und Belastung
- Berichtet der Patient von einer subjektiv wahrgenommenen erhöhten Belastung, insbesondere von chronischer Belastung, dauerhafter Höchstleistung, Konflikte (beruflich/privat)?
- Fehlen protektive Faktoren (Freizeit, Beziehungen etc.)?
Vitale Erschöpfung
- Berichtet der Patient oder Hausarzt von vorbestehenden (meist 6 Monate vor Eintritt eines Infarkts) Symptomen einer schweren Erschöpfung und/oder depressiven Episoden, die die Betroffenen zu ihrem Arzt führten?
Krankheitsverarbeitung und Coping-Strategien
- Ist der Patient gegenüber Veränderungen durch das kardiale Ereignis negativ eingestellt (Medikamenten-Einnahme, Rauchstopp, Rehabilitation etc.)?
- Entsteht der Eindruck, der Patient wird die Empfehlungen der Ärzte nicht umsetzen?
- Möchte der Patient zu viel auf einmal verändern und besteht die Gefahr der Überbelastung?
- Fehlen dem Patienten realistische, gestaffelte Ziele zur Verarbeitung?
- Sind allgemein mangelnde Ressourcen (Arbeitsplatz, Familie, Freunde, Finanzen, Sprache) wahrnehmbar?
Schichtzugehörigkeit
- Kommt der Patient aus einer niedrigen sozialen Schicht? Besteht eine schlechte Schulbildung, keine/schlechte Berufsausbildung, wenig Einkommen oder soziale Unterstützung?
Je niedriger die soziale Schicht, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit einer Herzerkrankung wie auch einer psychischen Erkrankung. Dieser Zusammenhang gilt unabhängig von einem Lebensstil, der häufig mit einem niederen sozioökonomischen Status assoziiert ist (Rauchen, ungesundere Ernährung, weniger Bewegung). Ein psychosoziales Helfernetz ist besonders in dieser Schicht wichtig, z.B. durch Einbezug des Sozialdienstes.
Quellen/Links
- Heßlinger, B. et al. Komorbidität von depressiven Störungen und kardiovaskulären Erkrankungen Implikationen für Diagnostik, Pharmako- und Psychotherapie. Nervenarzt 73, 205–218 (2002).
https://doi.org/10.1007/s001150101168
Rahel Altwegg
Stefan Brokatzky