Fahreignungsbeurteilung bei kardiologischen Patienten

Einleitung

2019 wurden in Zusammenarbeit der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie (SGK) und der Sektion Verkehrsmedizin der Schweizerischen Gesellschaft für Rechtsmedizin (SGRM) gemeinsame Richtlinien erarbeitet, welche sowohl die einzelnen kardiologischen Krankheitsprobleme als auch die entsprechend verkehrsmedizinisch relevanten Aspekte berücksichtigen. Dies in Anlehnung an internationale Richtlinien (v.a. diejenigen der deutschen Gesellschaft für Kardiologie) sowie basierend auf den schweizerischen Gesetzesgrundlagen betreffend die medizinischen Mindestanforderungen gemäss VZV (Verkehrszulassungsverordnung) für die niedrigen (1. Gruppe) sowie die höheren (2. Gruppe) Führerausweiskategorien. Die folgenden Richtlinien sind tabellenübergreifend zu verwenden: So sind beispielsweise bei Vorliegen einer koronaren Herzkrankheit, begleitet von einer Herzinsuffizienz und einem Linksschenkelblock, Tab. 2 «Fahreignung bei Herzinsuffizienz», Tab. 3 «Fahreignung bei koronarer Herzkrankheit» sowie Tab. 4 «Fahreignung bei bradykarden Arrhythmien» zu berücksichtigen.

Diese Richtlinien sollen für die individuelle Beurteilung von kardiologisch-verkehrsmedizinischen Fragestellungen beigezogen werden. In Zweifelsfällen, insbesondere auch bei komplexen Fragestellungen (z.B. bei zusätzlich relevanten Krankheitsproblemen und höheren Führerausweiskategorien), muss jedoch zu einer verkehrsmedizinisch-spezialärztlichen Fahreignungsabklärung geraten werden.

Für weiterführende Informationen verweisen wir auf die Originalarbeit (s. Quelle/Link Seite).

Führerausweiskategorien
1. Gruppe

(niedrige Führerausweiskategorien)

2. Gruppe

(höhere Führerausweiskategorien)

Führerausweis-Kategorien A und B

Führerausweis-Unterkategorien A1 und B1

Führerausweis-Spezialkategorien F, G und M

Führerausweis-Unterkategorie D1, falls Beschränkung auf 3.5 t

Führerausweis-Kategorien C und D

Führerausweis-Unterkategorien C1 und D1

Bewilligung zum berufsmassigen Personentransport, Verkehrsexperten

Fahreignung bei Synkopen
Tab. 1
1. Gruppe 2. Gruppe
Vasovagale Synkope
– einmalige vasovagale Synkope, nicht im Sitzen/beim Fahren fahrgeeignet fahrgeeignet
– rezidivierende vasovagale Synkopen oder einmalige vasovagale Synkope im Sitzen/beim Fahren fahrgeeignet, Wartefrist 1 Monat ab letztem Ereignis Einzelfallbeurteilung, Wartefrist minimal 3 Monate ab letztem Ereignis
Synkope mit auslösenden, behebbaren Faktoren (z.B. Schmerz, Anämie, Fieber, Dehydratation) fahrgeeignet, sobald auslösender Faktor behoben fahrgeeignet, sobald auslösender Faktor behoben
Synkope bei Brady- oder Tachyarrhythmien siehe Tab. 4, 5, und 6 siehe Tab. 4, 5, und 6
Unklare Synkope ohne Prodromi, welche eine adäquate Schutzreaktion des Patienten erlauben fahrgeeignet, Wartefrist 3 Monate ab letztem Ereignis nicht fahrgeeignet bis Diagnose gestellt und Therapie eingeleitet. Bei fehlender Diagnose Wartefrist minimal 12 Monate ab letztem Ereignis.
Herzinsuffizienz (beliebige Aetiologie)
Tab. 2
* Keine Angina pectoris, keine relevanten Arrhythmien, körperliche Belastbarkeit > 4 METs. Pathologisches EKG mit bildgebendem Ischämietest abgeklärt.
1. Gruppe 2. Gruppe
NYHA I fahrgeeignet fahrgeeignet, falls LVEF > 35% und Belastungstest normal*
NYHA II fahrgeeignet fahrgeeignet, falls LVEF > 35% und Belastungstest normal*
NYHA III fahrgeeignet, falls stabil und kompensiert nicht fahrgeeignet
NYHA IV nicht fahrgeeignet nicht fahrgeeignet
Herzunterstützendes System (left ventricular assist device) Einzelfallbeurteilung nicht fahrgeeignet
Status nach Herztransplantation fahrgeeignet nach erfolgreicher Rekonvaleszenz fahrgeeignet, falls NYHA I oder II und LVEF > 35% und Belastungstest normal, Wartefrist 3 Monate*
Fahreignung bei Koronarer Herzkrankheit
Tab. 3
* Keine Angina pectoris, keine relevanten Arrhythmien, körperliche Belastbarkeit > 4 METs. Pathologisches EKG mit bildgebendem Ischämietest abgeklärt (siehe auch Tab. 2 «Herzinsuffizienz»).
1. Gruppe 2. Gruppe
Akutes Koronarsyndrom (konservative und invasive Therapie) fahrgeeignet, Wartefrist 1 Woche sofern keine Ruhebeschwerden (nicht CCS IV) fahrgeeignet, falls asymptomatisch, LVEF > 35% und Belastungstest normal*, Wartefrist 6 Wochen
Elektive PCI fahrgeeignet fahrgeeignet
Koronare Bypassoperation fahrgeeignet nach erfolgreicher Rekonvaleszenz fahrgeeignet, falls NYHA I oder II, LVEF > 35% und Belastungstest normal*, Wartefrist 3 Monate
Stabile Koronare Herzkrankheit fahrgeeignet, sofern keine Ruhebeschwerden (nicht CCS IV) fahrgeeignet, falls asymptomatisch, LVEF > 35% und jährlicher Belastungstest normal*
Fahreignung bei bradykarden Arrhythmien
Tab. 4
1. Gruppe 2. Gruppe
Sinusknotendysfunktion
(SA-Blockierung, Sinusarrest)
– asymptomatisch fahrgeeignet fahrgeeignet, falls Pausen < 6 s. Ansonsten fahrgeeignet nach PM-Implantation (siehe Tab. 7).
– symptomatisch fahrgeeignet nach PM-Implantation (siehe Tab. 7) fahrgeeignet nach PM-Implantation (siehe Tab. 7)
AV-Block I fahrgeeignet fahrgeeignet
AV-Block II (Wenckebach, Mobitz I) fahrgeeignet fahrgeeignet
AV-Block II (Mobitz II)
– paroxysmal, im Schlaf fahrgeeignet fahrgeeignet
– im Wachzustand, unabhängig ob paroxysmal oder permanent und unabhängig von Symptomen fahrgeeignet nach PM-Implantation (siehe Tab. 7) fahrgeeignet nach PM-Implantation (siehe Tab. 7)
AV-Block III (angeboren) fahrgeeignet, falls asymptomatisch fahrgeeignet nach PM-Implantation (siehe Tab. 7)
AV-Block III (erworben), unabhängig von Symptomen fahrgeeignet nach PM-Implantation (siehe Tab. 7) fahrgeeignet nach PM-Implantation (siehe Tab. 7)
Rechtsschenkelblock/Isolierter Hemiblock fahrgeeignet fahrgeeignet
Linksschenkelblock fahrgeeignet fahrgeeignet nach Echokardiografie
Bifaszikuläre Blockbilder mit normaler PQ-Zeit fahrgeeignet fahrgeeignet
Bifaszikuläre Blockbilder mit verlängerter PQ-Zeit fahrgeeignet, falls asymptomatisch fahrgeeignet, falls asymptomatisch
Fahreignung bei supraventrikulären Arrhythmien
Tab. 5
* starker Schwindel, Präsynkope, Synkope
1. Gruppe 2. Gruppe
Regelmässige supraventrikuläre Tachykardien (AVNRT, AVRT, ektope atriale Tachykardien, Vorhofflattern)
– ohne erhebliche Symptome* fahrgeeignet fahrgeeignet
– mit erheblichen Symptomen* fahrgeeignet nach Radiofrequenzablation, Wartefrist 4 Wochen und kardiologische Kontrolle fahrgeeignet nach Radiofrequenzablation, Wartefrist 4 Wochen und kardiologische Kontrolle
Präexzitation («WPW», ohne Tachykardieanamnese) fahrgeeignet fahrgeeignet
Vorhofflimmern
– ohne erhebliche Symptome* fahrgeeignet fahrgeeignet
– mit erheblichen Symptomen* fahrgeeignet nach effektiver Therapie (medikamentös/interventionell/Herzschrittmacher), Wartefrist 4 Wochen und kardiologische Kontrolle fahrgeeignet nach effektiver Therapie (medikamentös/interventionell/Herzschrittmacher), Wartefrist 4 Wochen und kardiologische Kontrolle
Fahreignung bei ventrikulären Arrhythmien
Tab. 6a
* starker Schwindel, Präsynkope, Synkope
Keine strukturelle Herzerkrankung, keine Ionenkanalerkrankung (typischerweise aus dem RVOT oder dem LVOT stammend) 1. Gruppe 2. Gruppe
Ventrikuläre Extrasystolen fahrgeeignet fahrgeeignet
Nicht-anhaltende Kammertachykardie (> 3 Schläge, > 120/min, < 30 s) ohne erhebliche Symptome* fahrgeeignet Einzelfallbeurteilung
Anhaltende Kammertachykardie (> 30 s) ohne erhebliche Symptome* fahrgeeignet Einzelfallbeurteilung
Nicht-anhaltende und anhaltende Kammertachykardie mit erheblichen Symptomen* fahrgeeignet nach effektiver Therapie (medikamentös/, Ablation), Wartefrist 4 Wochen und kardiologische Kontrolle fahrgeeignet nach effektiver Therapie (medikamentös/Ablation), Wartefrist 4 Wochen und kardiologische Kontrolle
Idiopathisches Kammerflimmern siehe Tab. 7 nicht fahrgeeignet
Tab. 6b
* starker Schwindel, Präsynkope, Synkope
Strukturelle Herzerkrankung (typischerweise bei KHK oder dilatativer Kardiomyopathie) 1. Gruppe 2. Gruppe

 

Ventrikuläre Extrasystolen fahrgeeignet fahrgeeignet
Anhaltende Kammertachykardie mit/ohne Symptome oder Kammerflimmern siehe Tab. 7 nicht fahrgeeignet (siehe Tab. 7)

 

Nicht anhaltende Kammertachykardie
– ohne erhebliche Symptome* fahrgeeignet Einzelfallbeurteilung
– mit erheblichen Symptomen* fahrgeeignet nach effektiver Therapie (Medikamente, Ablation, ICD), Wartefrist 3 Monate und kardiologische Kontrolle nicht fahrgeeignet (siehe Tab. 7)
Fahreignung bei Devices (PM, ICD, CRT)
Tab. 7a
PM 1. Gruppe 2. Gruppe
PM-Implantation oder PM-Wechsel
– mit Synkopen in der Anamnese fahrgeeignet, Wartefrist 1 Woche fahrgeeignet, Wartefrist 3 Monate und kardiologische Kontrolle.

Falls nur PM-Wechsel: Wartefrist 2 Wochen

– ohne Synkopen in der Anamnese fahrgeeignet, Wartefrist 1 Woche fahrgeeignet, Wartefrist 4 Wochen und kardiologische Kontrolle.

Falls nur PM-Wechsel: Wartefrist 2 Wochen


Fahreignung bei Devices (PM, ICD, CRT) – Teil 2
Tab. 7b
* starker Schwindel, Präsynkope, Synkope
ICD 1. Gruppe 2. Gruppe
Primärprävention fahrgeeignet, Wartefrist 1 Woche nicht fahrgeeignet
Sekundärprävention fahrgeeignet, Wartefrist 3 Monate nicht fahrgeeignet
Nach einmaligem, adäquatem Schock fahrgeeignet, Wartefrist 3 Monate nicht fahrgeeignet
ATP einer Kammertachykardie
– mit erheblichen Symptomen* fahrgeeignet, Wartefrist 3 Monate nicht fahrgeeignet
– ohne erhebliche Symptome* fahrgeeignet nicht fahrgeeignet
Nach inadäquatem Schock fahrgeeignet nach Beseitigung der zugrundeliegenden Ursache nicht fahrgeeignet
Nach Aggregatswechsel fahrgeeignet, Wartefrist 1 Woche nicht fahrgeeignet
Nach Sondenwechsel fahrgeeignet, Wartefrist 1 Woche nicht fahrgeeignet
Verweigerung eines ICD
– primärpräventiv fahrgeeignet nicht fahrgeeignet
– sekundärpräventiv fahrgeeignet, Wartefrist 7 Monate nach letztmaliger ventrikulärer Arrhythmie nicht fahrgeeignet
CRT-D bei nicht-ischämischer Kardiopathie in der Primärprävention fahrgeeignet, Wartefrist 1 Woche fahrgeeignet, falls eine anhaltende (im Allgemeinen > 6 Monate) Verbesserung der LVEF auf > 50% dokumentiert ist und der D-Teil deaktiviert wird

Fahreignung bei weiteren kardiovaskulären Erkrankungen
Tab. 8
1. Gruppe 2. Gruppe
Herzklappenerkrankungen
(exklusive Aortenstenose)
– asymptomatisch fahrgeeignet fahrgeeignet, falls LVEF > 35% und keine schwere Mitralstenose
– symptomatisch Beurteilung gemäss Tab. 2 fahrgeeignet, falls NYHA I oder II, LVEF > 35% und keine schwere Mitralstenose
– nach Herzklappenoperation fahrgeeignet nach erfolgreicher Rekonvaleszenz fahrgeeignet, falls NYHA I oder II und LVEF > 35%, Wartezeit 3 Monate
Aortenstenose
(aortal, subaortal, supraaortal)
– asymptomatisch fahrgeeignet fahrgeeignet, falls leichte bis mittelschwere Stenose, regelmässige (jährliche) Reevaluation
– symptomatisch nicht fahrgeeignet nicht fahrgeeignet
– nach Herzklappenoperation fahrgeeignet nach erfolgreicher Rekonvaleszenz fahrgeeignet, falls NYHA I oder II und LVEF > 35%, Wartezeit 3 Monate
Kongenitale Herzerkrankungen (GUCH)
– asymptomatisch fahrgeeignet Einzelfallbeurteilung
– symptomatisch Einzelfallbeurteilung fahrgeeignet, bei Herzinsuffizienz oder Arrhythmien s. entsprechende Tab.
Hypertrophe Kardiomyopathien
– asymptomatisch fahrgeeignet nicht fahrgeeignet, falls Richtlinien eine ICD-Implantation empfehlen
– symptomatisch Beurteilung gemäss Tab. 1 und 2 nicht fahrgeeignet
Angeborenes Long-QT-Syndrom fahrgeeignet

falls ICD-Indikation: siehe Tab. 7

Einzelfallbeurteilung

nicht fahrgeeignet, falls ICD-Indikation

Brugada-Syndrom fahrgeeignet

falls ICD-Indikation: Tab. 7

Einzelfallbeurteilung

nicht fahrgeeignet, falls ICD-Indikation

Arterielle Hypertonie fahrgeeignet, falls keine zerebrale Symptomatik oder Sehstörungen (maligne Hypertonie) vorliegen fahrgeeignet, falls systolische Blutdruckwerte < 180 mmHg oder diastolische Blutdruckwerte < 110 mmHg unter Therapie und keine zerebrale Symptomatik oder Sehstörungen (maligne Hypertonie) vorliegen
Pulmonale Hypertonie fahrgeeignet, falls NYHA I-III fahrgeeignet, falls NYHA I-II und keine Dauersauerstofftherapie
Thorakales Aortenaneurysma fahrgeeignet, falls Diameter ≤ 6.5 cm (Marfansyndrom ≤ 5.5 cm) fahrgeeignet, falls Diameter ≤ 5.5 cm (Marfansyndrom ≤ 5.0 cm)

Quelle/Link

  • Buser M, Christen S, Schaer B, Fellay M, Pfäffli M. Fahreignung und kardiovaskuläre Erkrankungen: gemeinsame Richtlinien der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie und der Schweizerischen Gesellschaft für Rechtsmedizin. Cardiovasc Med. 2019;22:w02023. https://doi.org/10.4414/cvm.2019.02023

 

Dr. Marc Buser
Prof. Dr. Peter Ammann
Dr. Bruno Liniger
Prof. Dr. Hans Rickli

Lizenz

Kardiovaskuläres Manual 2023 Copyright © Autorenteam Kantonsspital St.Gallen. Alle Rechte vorbehalten.