Chancen für das Marketing

Rainer Nüßlein

Forum zur Nachhaltigen Entwicklung im United Nations Headquarter, 9. Juli 2019 (Foto: Matthew TenBruggencate auf Unsplash)

Zahlreiche Unternehmenseinheiten wie Einkauf, Personal oder Kommunikation beschäftigen sich mit der Rolle, die SDGs in den Lieferketten und Liefernetzen spielen. Doch bis dato gibt es nur wenige Untersuchungen, die die Rolle der SDGs in Marketing und Vertrieb beleuchten. Dabei können diese für manche Zielgruppen und Märkte wie beispielsweise im Outdoor-Business eine herausragende Rolle der Imagebildung und Verkaufsargumentation übernehmen.

Welch wunderbares Szenario wird unter dem Begriff Agenda 2030 und den 17 Entwicklungszielen entwickelt, die im September 2015 von den UNO-Mitgliedstaaten verabschiedet wurden. Und welch grandioses Spektrum an Vermarktungsoptionen bieten SDGs für Unternehmen und deren Marken vor allem aus Livestyle, Fashion und FMCG. Da SDGs die Sehnsucht nach reiner Luft, unzerstörter Natur, lebendiger Artenvielfalt, sauberen Gewässern, gesunder Nahrung und vieles mehr bündeln, eignen sich diese hervorragend, Emotionen zu erzeugen und für Marketing- und Kommunikationsmaßnahmen zu nutzen. Tatsächlich reflektiert die Agenda 2030 mit ihren Entwicklungszielen lediglich die Welt, in der jeder Mensch gerne leben würde und zumindest theoretisch könnte.

Wege, dieses Lebensfeld zu realisieren, finden sich auf der Internet-Seite der Initiative „The Climate Pledge“. Diese wollen einen Beitrag leisten, um die Umwelt zu schützen und die Ziele des Pariser Klimaabkommens zehn Jahre früher zu erreichen. Um dieses hehre Ziel auch ausreichend und werbewirksam zu kommunizieren, werden unter anderem TV-Spots geschaltet, in denen junge Menschen, Angehörige unterschiedlicher Ethnien und Gender, ihre Vorstellungen zur Rettung des Klimas verkünden (vgl. The Climate Pledge TV-Commercial, Challenge Accepted). Zudem wurde für „Climate Pledge“ bereits ein Fonds mit 100 Millionen US-Dollar zur Verfügung gestellt.

Positives zu vermelden

Doch bei all den Katastrophen wie Hitzewellen, Waldbrände und Überschwemmungen, die derzeit die Medien beherrschen, sind auch positive Ergebnisse zu vermelden. Zu Waldsterben, saurem Regen, vermüllten Wäldern, Atommüll und zahlreichen weiteren Problemen gibt es bereits Lösungsansätze. Als Beispiel kann hier auf das Projekt „Aktionsprogramm Rhein“ von 1986 bis 2000 und das Projekt „Rhein 2020“ verwiesen werden. Hier entstand aus einem durch einen Chemieunfall vergifteten Fluß ein Lebensraum für 63 Fischarten. Ein Projekt, bei dem jeder sehen kann, wie aus einer „Kloake“ ein sauberer Fluss wurde.

Erste Warnungen 1995

Anders verhält es sich mit der Luftverschmutzung und den damit verbundenen Klimakatastrophen, deren Auswirkungen zumindest anfangs nicht offensichtlich sind. So wurde bereits am 17. März 1995 in der Tagesschau anmoderiert: “Der wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung warnt vor einer Klimakatastrophe“. Und dieser wissenschaftliche Beirat veröffentlichte einen Lagebericht, der den Anstieg der CO2-Werte dokumentierte und darauf hinwies, dass in 25 Jahren, sollten nicht umgehend Maßnahmen ergriffen werden, ein Gegensteuern nicht mehr möglich sei.

Und heute – ein Vierteljahrhundert später – ist der IPCC-Report angeblich ein Weckruf für die Welt, so twittert zumindest Boris Johnson, der englische Premier-Minister. (siehe >Twitter).

Naturbedürfnis gut zu vermarkten

Tatsächlich ist es dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gelungen, unter www.bmz.de/agenda-2030 die globalen Ziele nachhaltiger Entwicklung unter den fünf Kernbotschaften People, Planet, Prosperity, Peace und Partnership zu subsumieren.

Zudem ergibt ein Blick auf die Missionen und den Kommunikations-Mix zahlreicher Unternehmen, dass sich das Bedürfnis der Menschen nach Naturerlebnis und Betätigung im Freien gut vermarkten lässt. Hier können sehr leicht Images aufgebaut werden, die den Lifestyle ganzer Generationen ausdrücken und formen. Dabei konnten einige Produzenten ein Image aufbauen, das Achtsamkeit, Nachhaltigkeit und die Verwirklichung der SDGs kommuniziert.

Diese SDG-Kommunikation reicht von der Überprüfung der Liefernetze bis zum Einsatz „freiwilliger Selbstkontrolle“ und der Durchsetzung zahlreicher Umweltlabels. Dabei lassen sich in Marketing und Kommunikation Szenarien entwickeln, die darauf aufbauen, wie umweltbewusst, sozialverträglich und menschenfreundlich die Marke, die Mitarbeitenden, die Influencer und/oder das ganze Unternehmen sind.

SDGs als Vertriebschance

Damit ist die Frage, ob und welche Rolle SDGs in Marketing und Vertrieb spielen, sehr leicht zu beantworten: Sie eigenen sich hervorragend, um ein positives Image an den Kunden zu transportieren. Dies vor allem auch deshalb, da sich die Menschen nach intakter Natur, einer lebenswerten Umwelt und sozialer Gerechtigkeit sehnen.

Doch nun scheint für die Realisierung der Agenda 2030, durch die Möglichkeiten, die die Digitalisierung bietet, ein neuer Drive zu erwachsen. Es kann durch einfache Recherche im World-Wide-Web sehr leicht die Glaubwürdigkeit jeden Herstellers und Händlers überprüft werden. Noch loben sich nahezu alle Unternehmen für ihre Naturliebe, das soziale Engagement, das ökologische Gewissen und die umweltfreundliche Herstellung der Produkte.

Aber nun ist es jedem Kunden möglich, mit wenigen Mausklicks „Öko-Image“ und Realität zu vergleichen und zu erkennen, ob die Versprechen zumindest annährend die gelebte Unternehmenspolitik treffen.

Fridays for Future

Da die heranwachsende Greta Thunberg mit ihren freitäglichen Sitzstreiks zur Ikone der jugendlichen Umweltbewegung wurde, gelang es der Organisation „Fridays for Future“ und deren Ablegern, nicht nur die junge Generation zu aktivieren. So entstand und entsteht eine weltweite Bewegung, die die politischen Vertreter zwingt, Realitäten zu erkennen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.

Ruf nach dem starken Staat

Zur Realisierung der SDGs und der Agenda 2030 wird nun mehr und mehr nach einem starken Staat und aktiven Regierenden gerufen. Die aktuelle Regierung sieht noch eine Schwäche „wo nicht technische Lösungen (vom Filter bis zum effizienteren Kraftwerk), sondern strukturelle Änderungen (ob bei Verkehrsträgern, Siedlungsformen oder Lebensstilen) gefragt sind“ (> Link). Ansonsten wurden die umweltpolitischen Herausforderungen bis dato durchaus gut gemeistert. Folglich liegt die Rettung der Umwelt auch und besonders in der Änderung der eigenen Lebensumstände, auch hier ist ein Blick auf die Ansichten der „Fridays for Future“-Anhänger durchaus lehrreich.

Strukturelle Schwächen zu beheben und entsprechende Lücken zu schließen, haben sich einige Parteien, auf Druck der Wähler, auf das Banner geschrieben. Dafür werden natürlich Budgets benötigt, die finanziert werden müssen. Hier scheinen nun europäische Regierungen an Systemen zu arbeiten, die Steueroasen austrocknen und dafür sorgen wollen, das leistungsgerechte Beiträge zur Finanzierung der Infrastrukturen, der Umwelt-, Gesundheit- und Sozialpolitik geleistet werden.

Mit dieser gerechten Steuerpolitik wäre es sehr einfach, weltweit eine innovationsorientierte Umweltpolitik einzuführen und damit die ökologische Modernisierung zu realisieren.

„Gretys“ statt Smileys

Falls zudem Greta Thunberg und weitere Umwelt-Held:innen die Wirkung der Social-Media-Kommunikation zur Wahrheitserkundung und Aug-in-Aug-Kommunikation erkennen, werden rasch weltweite Portale entstehen, die den Kunden Kaufempfehlungen über SDG-geleitete Hersteller und Marken geben.

Ein Alptraum für alle, die ihre Profitgier durch Ausbeutung gleich welcher Ressourcen auch immer verwirklichen. Vielleicht erhalten wertvolle Produkte dann statt Smileys „Gretys“ und wären damit eine echte Kauferleichterung und vor allem eine weitere Möglichkeit zur Realisierung der SDGs.

 

Dr. Rainer Nüßlein,
MBA, ist Hochschuldozent für Marketing und Vertrieb an der Hochschule Fresenius, München
(rainer.nuesslein@hs-fresenius.de)

 

 

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