Zehn Thesen zum CR-Unternehmensengagement im Spannungsfeld von Bildung und Transformation

Katharina Knoll

Glasfaserleiter (Foto: Denny Müller auf Unsplash)

Die Geschwindigkeit, in der neues Wissen erzeugt und praktisch umgesetzt wird, hat sich in den letzten Jahrzehnten rasant erhöht. Während Erneuerungen und aktuellen Herausforderungen im klassischen Bildungssystem oftmals nur schleppend begegnet wird, agieren Unternehmen typischerweise schneller und agiler. Hinzu kommt, dass komplexe gesellschaftliche Transformationsprozesse, wie etwa der Klimawandel oder die digitale Transformation, neue und agile Handlungsprofile und Einstellungen in der Wirtschaft erfordern.

Da die neuen Anforderungen der Digitalisierung und Nachhaltigkeit das Arbeitsleben grundlegend verändern, staatlichen Institutionen jedoch oft Ressourcen und finanzielle Mittel fehlen, um diesen Veränderungen Rechnung zu tragen, ist ein verstärktes Bildungsengagement von Unternehmen wirtschaftlich sowie gesellschaftlich heute unabdingbar. Um eine nachhaltige Transformation voranzutreiben, verstehen zukunftsfitte Unternehmen daher die Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) ihrer Mitarbeiter:innen und Führungskräfte als integralen Bestandteil ihrer gesellschaftlichen Verantwortung, der Corporate Responsibility (CR)*.

Die BNE ist eines der globalen Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030 der Vereinten Nationen, die Sustainable Development Goals (SDGs). Sie hat eine übergreifende Funktion zur Umsetzung aller SDGs, um die Prinzipien der Nachhaltigkeit umfassend in Bildungsinhalte und -institutionen zu integrieren. Die ganzheitliche Weiterbildung der Mitarbeiter:innen und Führungskräfte zu handlungsorientierten, ethischen und nachhaltigen Planern und Akteuren steht hierbei im Fokus.

Eine Umfrage zu Anforderungen und Kompetenzen für die nachhaltige und digitale Arbeitswelt in der Chemie- und Pharmabranche ergab, dass Mitarbeiter:innen und Führungskräfte den Unternehmen eine maßgebliche Rolle in der Umsetzung der Bildung für nachhaltige Entwicklung zuschreiben [1]. Auch ein Zusammenspiel verschiedener gesellschaftlicher Akteure wird dazu als wichtig angesehen, neben den Bildungseinrichtungen (83 Prozent), Unternehmen (72 Prozent) und einzelnen Unternehmensfunktionen (71 Prozent) wird auch die Politik (68 Prozent) in der Pflicht gesehen mitzuwirken. Die Umfrageergebnisse verdeutlichen die Relevanz von Unternehmen als entscheidende Instanz in der Weiterqualifikation von Mitarbeitern und im Bildungswesen. Diesem Appell gilt es künftig verstärkt nachzukommen.

Die gegenwärtige Corona-Krise, welche enormes Transformationspotential birgt, beweist die Wichtigkeit guter digitaler Skills und den Mehrwert einer digitalen Vernetzung. Auch hier hat sich gezeigt, dass ein verstärktes Bildungsengagement von Unternehmen wirtschaftlich sowie gesellschaftlich notwendig ist. Mit Blick auf die Zukunft rücken Unternehmen als Bildungsakteure im Zuge ihrer gesellschaftlichen Verantwortung daher immer stärker in den Fokus und betrachten dies auch selbst als einen Wettbewerbsvorteil.

Zusammenfassend sollten Unternehmen unserer künftigen Bildungslandschaften folgenden zehn Maximen zum CR-Bildungsengagement nachgehen, um einerseits Lösungsbeiträge für drängende Bildungsherausforderungen zu liefern, und andererseits ihr CR-Bildungsengagement als Business Case umzusetzen:

  1. Nachhaltigkeit und Verantwortung als wichtige Handlungsprinzipien in Unternehmen etablieren

Das Thema Nachhaltigkeit stellt für immer mehr Unternehmen einen erfolgskritischen Faktor dar. Sein Geschäftsmodell nachhaltig auszurichten wird zunehmend zum entscheidenden Faktor, um bei Kunden, Anlegern, Lieferanten und Fachkräften gleichermaßen „zu punkten“. Durch sich ändernde gesetzliche Anforderungen, u.a. in puncto Publikationspflichten, Beschaffung- und Lieferkettenanforderungen, erhöht sich dieser Druck auf Unternehmen künftig zusätzlich.

Daher ist es notwendig, dass Unternehmen eine zügige nachhaltige Transformation innerhalb ihres Kerngeschäftes und Lieferkette vorantreiben, und somit Nachhaltigkeit und Verantwortung als wichtige Handlungsprinzipien etablieren.

  1. Unternehmensverantwortung durch CR-Bildungsengagement nachkommen

Beim heutigen Bildungsengagement einzelner Unternehmen geht es darum, die wichtigsten Gruppen, wie Mitarbeiter:innen, Kunden, Lieferanten und Hoch- und Berufsschulen, in künftige (Unternehmens-) Transformationsprozesse einzubeziehen und entsprechend nachzuqualifizieren. Denn in einer künftigen Wissensgesellschaft werden die Wirtschaftsakteure am erfolgreichsten sein, die auf kluge und motivierte Köpfe setzen und gleichzeitig neue, starke Partnerschaften aufbauen können. Ein Ansatz zum Fördern des gegenseitigen Wissensaustausches kann darin bestehen, in strategische Bildungspartnerschaften mit Hoch- und Berufsschulen zu investieren.

  1. Mitarbeiter:innen und Entscheidungsträger:innen umgehend (nach-)qualifizieren

Als zentrale Akteure haben Mitarbeiter:innen und Führungskräfte eine Schlüsselfunktion zur Umsetzung von Nachhaltigkeit als wichtige Handlungsprinzipien im Unternehmen: Als Arbeitnehmer, in der betrieblichen Aus- und Weiterbildung, in der Produkt- und Geschäftsentwicklung, im Innovationsmanagement und letztendlich in ihrem lokalen und globalen CR-Unternehmensengagement. Zeitnahe Schulungen des Personals in diesem Feld sind unabdingbar. In Zeiten disruptiver Veränderungen ist es für Unternehmen erfolgsentscheidend, ausreichend Zeit und Geld für Aus- und Weiterbildungsaktivitäten zur Verfügung zu stellen, die auf die strategischen Ziele des Unternehmens in Richtung eines nachhaltigen Geschäftsmodells einzahlen.

  1. Bildung für nachhaltige Entwicklung in der beruflichen Bildung sowie der Aus- und Weiterbildung integrieren

Da gesellschaftlich komplexe Transformationsprozesse – beispielsweise der Klimawandel – neue Handlungsprofile erfordern, steht bei der BNE der Erwerb von so genannten „Gestaltungskompetenzen“ [2] im Vordergrund. Diese umschreiben ein neues Kompetenzfeld, durch welches „alle Lernenden die notwendigen Kenntnisse und Qualifikationen zur Förderung nachhaltiger Entwicklung erwerben sollen“ [3]. Die Berücksichtigung dieser Gestaltungskompetenzen im Rahmen der beruflichen Bildung sowie der Aus- und Weiterbildungsinhalte ist derzeit nicht ausreichend gegeben, und muss stärker berücksichtigt werden.

  1. Lernbedarf im Bereich Digitalisierung und Nachhaltigkeit stärker zusammendenken

Digitalisierung und Nachhaltigkeit sind entscheidende Treiber einer nachhaltigen Unternehmenstransformation, daher müssen sie verstärkt zusammengeführt werden. Dies muss sich auch in der Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitern und im Bildungssystem widerspiegeln.

Die Qualifizierungsangebote sollten in Richtung digitale und didaktisch-durchdachte Lernformate weiterentwickelt und inhaltlich je nach Zielgruppe, u.a. mit den neuen Standardberufsbildpositionen für Auszubildende „Umweltschutz und Nachhaltigkeit” und „Digitale Arbeitswelt”, aktualisiert werden [4].

  1. Spezifische Lerninhalte eruieren

Der Bedarf an Erweiterung und Kontextualisierung der Lerninhalte hinsichtlich Bildung für nachhaltige Entwicklung, Digitalisierung und Nachhaltigkeit an Hoch- und Berufsschulen sowie in Unternehmen ist durch weitere systematische Untersuchungen zu eruieren. Grundlage dafür ist der konkrete Lernbedarf (je nach Branche bzw. Unternehmens- und Stellenprofil), der für die Themenfelder zunächst erhoben werden muss.

  1. Agile Arbeits- und Lernmethoden einsetzen

Agile Arbeits- und Lernmethoden, wie beispielsweise die Ansätze des partizipativen Leaderships und Design Thinking, eignen sich besonders zur Nachqualifizierung von Mitarbeiter:innen und Führungskräften. Der Grund ist, dass u.a. wertebasierte Konzepte wie Selbstorganisation und Eigenverantwortung inhärent mitvermittelt werden. Diese Methoden sollten auch in der Nachqualifizierung von Mitarbeitern im Bereich Nachhaltigkeit und Digitalisierung stärker integriert werden.

  1. Bildungsengagement unabhängig von Unternehmensinteressen ausrichten

Es ist von größter Relevanz, das Unternehmensengagement im Bildungssektor nicht einer Zweckdienlichkeit unterzuordnen, sondern ethisch-orientiert und interessenunabhängig auszurichten. Werte, Kultur und Interdisziplinarität sind dabei fundamentale Treiber für Nachhaltigkeit und Unternehmenserfolg.

  1. Einen ganzheitlichen Bildungsansatz etablieren

Die Verbreitung von Bildungswissen zur nachhaltigen Entwicklung erfordert einen ganzheitlichen Bildungsansatz in der unternehmerischen Praxis. Sich dabei allein auf die berufliche Qualifizierung zu beschränken, reicht nicht aus. Damit Mitarbeiter:innen künftig nicht nur im Unternehmenskontext, sondern auch im Sinne einer aktiven Bürgerschaft gesellschaftliche Verantwortung übernehmen können, sollte eine umfassendere Denkweise und Haltung in den Weiterbildungsinhalten vermittelt werden [5].

  1. Nachhaltige Innovationen durch transformative Kooperationen fördern

Unternehmen, die maßgebliche Schritte hin zu neuen Partnerschaften setzen, etwa mit Bildungsinstitutionen aber auch mit der Forschung, Start-ups und Zivilgesellschaft, sind besonders offen für Innovation und neue Ideen. Sie verstehen sich als Impulsgeber für Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft und zählen zu den sogenannten zukunftsfitten Unternehmen unseres Landes. Durch den gezielten Austausch entsteht ein Kompetenz- und Wissenstransfer, welcher für die Umgestaltung hin zu einem nachhaltigen und klimafreundlichen Unternehmen benötigt wird.

Die zehn Thesen bieten Anhaltspunkte, mit denen Unternehmen ihre oft eng gefasste und klassisch aufgestellte unternehmerische Verantwortung gezielt ergänzen können. Damit soll eine Grundlage für die Diskussion und Weiterentwicklung innerhalb und außerhalb von Unternehmen geschaffen werden. Künftig braucht es eine Vielzahl an Unternehmen, die Vorbilder für die Integration dieser Ansätze sind und verantwortungsvolle Fachkräfte und Entscheidungsträger:innen dahingehend ausbilden.

In der konkreten Umsetzung muss jedes Unternehmen jedoch die Geschäftsrelevanz von CR-Bildungsengagement für sich selbst definieren. Ein universelles Patentrezept ist weder vorhanden noch erwünscht, denn gerade durch die individuelle Ausgestaltung des Bildungsengagements – auch im Sinne der Sustainable Development Goals – erwachsen Chancen für Innovationen und Wettbewerbsvorteile.

Für das künftige Bildungsengagement von Unternehmen im Rahmen ihrer CR besteht somit noch Optimierungspotential. Es hat höchste Dringlichkeit, dass sich zukunftsfitte Unternehmen umgehend mit maßgeblichen Schritten befassen und sich engagieren, um die Bildungslandschaften bis 2030 aktiv mitzugestalten.

* Im Artikel wird die umfassendere Begrifflichkeit „Corporate Responsibility“ (CR) verwendet, die alle Verantwortungsbereiche eines Unternehmens mit einbezieht.

Auszug aus dem Artikel „CSR-Unternehmensengagement im Spannungsfeld von Bildung und Transformation“ der neuen Buchpublikation: „CSR in Hessen: Transformation zur Nachhaltigkeit – Impulse aus Bildung, Gesellschaft, Wirtschaft“ (Springer Verlag, Management-Reihe Corporate Social Responsibility, 2021 > Link),

 

Literaturverzeichnis

  1. Knoll und Keller (2020), Anforderungen und Kompetenzen für die nachhaltige und digitale Arbeitswelt in der Chemie- und Pharmabranche, https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/unsere-projekte/betriebliche-arbeitswelt-digitalisierung/projektnachrichten/ein-debattenbeitrag-zu-corporate-digital-responsibility
  2. De Haan G, Harenberg D (1999), Gestaltungskompetenzen für Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE), Institut Futur, http://www.institutfutur.de/tagung/files/beitraege/deHaan_ppt.pdf
  3. BNE-Portal, Bundesministerium für Bildung und Forschung /UNESCO-Weltaktionsprogramm, bne-portal.de/
  4. BMBF (2020), Bundesministerium für Bildung und Forschung (2020), Karliczek: Digitalisierung und Nachhaltigkeit künftig Pflichtprogramm für Auszubildende, https://www.bmbf.de/de/karliczek-digitalisierung-und-nachhaltigkeit-kuenftig-pflichtprogramm-fuer-auszubildende-11049.html
  5. Europäische Kommission (2000), Memorandum of LifelongLearning, https://arhiv.acs.si/dokumenti/Memorandum_on_Lifelong_Learning.pdf
Katharina Knoll (Foto: Martin Joppen)

Katharina Knoll
ist Beraterin und Trainerin für nachhaltiges Wirtschaften und Mitglied des Verbandsvorstands des Deutschen Netzwerks Wirtschaftsethik (DNWE) sowie verschiedener Fachgremien.

E-Mail: Knoll@dnwe.de

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